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■ VorschlagDer Mainstream ist nicht schuld: Heute beginnt das Fantasy-Festival

Wenn sich ein Höllenschlund auftut und nichts als einen kleinen Chow-Chow gebiert, ist irgend etwas schiefgelaufen. Wie jedes Jahr tritt das Fantasy-Filmfest mit einem halb trashigen, halb dräuenden Plakat an, auf dem ein adrettes Paar aus den späten fünfziger Jahren sich ängstlich an eine Wand drückt. Nur ist leider nicht mehr so ganz klar, wo der Schrecken herkommen soll: Der Splatterfilm produziert nur noch Sequels (“Children of the Corn: The Gathering“) oder schlechte (Video-)Kopien, was sich die Organisatoren damit erklären, daß „der Mainstream heute die ganze Gewaltgeschichte übernommen hat“. Das sei auch der Grund dafür, daß wieder mehr Thriller im Low-Budget-Bereich zu verzeichnen seien.

„Nick of Time“ holt sich seine Idee aus der Grauzone, die sich um politische Attentate in den USA gebildet hat. War der Reagan- Schütze John Hinckley nur ein Filmverrückter, der sich in Jodie Foster verguckt hatte? Regisseur John Badham meint nein – und sucht sich einen kleinen Büroangestellten als Beleg für die drohende Weltverschwörung aus Kapital und Ehegatten. Dabei muß sich Johnny Depp als Unschuld von einem mißgelaunten Christopher Walken wieder und wieder zum Mord an der Gouverneurin von Kalifornien animieren lassen. Das Ganze ist etwas wirr komponiert, mal wird auf echte Sekretärinnen geschossen, mal auf Holzbeine.

„Sweet Angel Mine“ hingegen hat soviel Naturmystik wie nötig und so viele verwunschene Frauenseelen wie möglich, aber wenn beim Herannahen des jungen Mannes im Gegenschnitt ein gehäuteter Hase zerteilt wird, winkt man dankend ab und hat schon gehabt.

„Virtuosity“, in den man wegen Denzel Washington und Kelly Lynch zunächst beste Hoffnungen setzt, entpuppt sich als Blaupause für ein Videospiel mit „Gigabyte-Widerling“ und „nicht schlecht bestücktem Androidenkörper“, das weit hinter dem avisierten Genre zurückbleibt. Außerdem hat das Festival Pamela Anderson Lees sagenhafte Unterlagen zu bieten, die man in „Barb Wire“ bei interessanten Duschszenen betrachten kann.

Nein, der Mainstream ist kaum schuld; Splatter verhielt sich doch zu „Gewalt“ wie der Früchtebecher (Früschtebescher!) zur Kirsche: immer ein bißchen satter, fetter, bunter. Sie ist das, was bleibt, wenn man versucht, einen Splatter nachzuerzählen, aber was ihn ausmacht, sind die platzenden Blasen, die zerschmelzenden Gesichter, die krabbelnden, abgeschlagenen Hände und die vielen Gestalten aus dem Zwischenreich. Es soll ja Leute geben, die „From Dusk till Dawn“ für eine Sensation halten, aber die Passionarios schrieben schon nach „Braindead“, das Lachen könnte der Totengräber des Genres sein und den Untoten endlich ihre wohlverdiente Ruhe geben. Mittlerweile geistern Angela Bassett oder Eddy Murphy durch die Wes-Craven-Produktion „Vampire in Brooklyn“, die von vornherein als Slapstick angelegt ist. Daß „Braindead“ und andere Highlights aus den letzten zehn Jahren bei diesem Jubiläumsfestival wiederholt werden, führt noch einmal den Niedergang vor Augen.

Auch der Osten reißt es nicht unbedingt heraus. „The Phantom Lover“ ist eine sepiafarbene Neuerzählung von „Phantom of the Opera“ auf kantonesisch, bei der man vom Boden essen könnte – aber man möchte einfach nicht. Zwischen die Dachbalken der verfallenen Oper spannen sich zarte Sinnweben. „Gonin“ ist ein weiterer Japan-Nouvelle-Noir-Krimscher mit Beat Takeshi und dem üblichen Yakuza-Drumherum aus Nachtclub, Puff und regennasser Straße, daß einem schon die Neons leuchten, bevor der erste Mord passiert. In Wong Kar-wais „Fallen Angel“ fallen die Schüsse zumindest in sehr meditativen Zeitlupen, und auch sonst erfährt man mehr über das Leben als den Tod. Sex scheint in Hongkong übrigens eine sehr verzwickte Angelegenheit zu sein, bei der die Menschen sich ein bißchen anstellen wie in Kafkas Geschichten. Immer werden kitschige Lieder in Juke-Boxen gedrückt, und die Betrunkenen haben Nummern statt Namen. Ist das noch Liebe oder schon Fantasy?

Die eigentliche Alternative sind Sci-Fi-Endlosschleifen, die schon seit Jahren im Fernsehen laufen. Mit dem Erfolg von „Independence Day“, einem Endzeitstück, das den Tag beschreibt, an dem „sie“ zurückkommen, um ihre damals bei Nevada gestrandeten Brüder zu rächen, sind auch solche Serien wie „X-Files“ oder „Outer Limits“ wieder in die Aufmerksamkeitszone gespült. „Seltsame Phänomene“ haben drehbuchtechnisch den Vorteil, daß sie die Handlung vorantreiben, ohne motiviert werden zu müssen – sie tauchen eben einfach auf. Die Pilotsendung von „X-Files“ fängt in jeder Beziehung bei Adam und Eva an: FBI-Mann und FBI-Frau begegnen Mädchen im Wald, die seltsame Male tragen. Lauert man ihnen auf, herrscht plötzlich ein heller Schein. Die Frau hat dabei die undankbare Rolle, stets zu fragen: „Are you seriously suggesting, that ...“ – ein Refrain, der sie zum Sprachrohr des Zuschauers machen soll. Und der eine ohnehin etwas zähe Angelegenheit aber nur noch mehr verlangsamt. Mariam Niroumand/Harald Fricke

Bis 14.8. im Royalpalast, Central (Hackesche Höfe) und Kino in der Brotfabrik (Pankow). Informationen unter Telefon: 261 17 75.

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