piwik no script img

Naturgemäßes Oktett als Finale

■ Mehrfach einzigartig: Die Neue Opernbühne zeigt de Almeidas „Spinalba“

Warum hat Florindo nichts für Elisa übrig? „Es gibt wohl eine andre, nach der er sich verzehrt“, mutmaßt sie. „Und die hat einen andern, nach dem sie wieder schmachtet“, ergänzt ihre Zofe. In der Oper „Spinalba“ des Portugiesen Francisco António de Almeida laufen acht unglücklich Liebende hintereinander her, bis sie sich am Ende doch noch paarweise zusammenfinden. Zuvor aber ist die Verwirrung groß. Spinalba zieht Männerkleider an, um als Diener dem untreuen Geliebten nahe zu sein, ihr Vater Arsenio wird über dem Skandal verrückt, und die Rivalen Ippolito und Leandro haben stets die Hand am Degengriff.

„Spinalba“ wurde zum Karneval 1739 am Königshof in Lissabon uraufgeführt. Sie ist die einzige erhaltene Oper de Almeidas, allen anderen (und vermutlich auch dem Komponisten selber) machte das Erdbeben von 1755 den Garaus. In ihrer Struktur ist die Oper streng demokratisch: Es gibt keine Nebenrollen und jeder der acht Sänger hat pro Akt mindestens eine Arie. So läßt sich fast mathematisch kalkulieren, wer als nächster dran ist. Auch in den Aktschlüssen beweist de Almeida ein Faible für perfekte Symmetrie: Den ersten Akt beschließt ein Duett, den zweiten ein Quartett, und das Finale ist naturgemäß ein Oktett.

Und doch steckt diese strenge Form voller Überraschungen, „Spinalba“ weist über die barocke Tradition weit hinaus. So ignoriert de Almeida die scharfe Trennung zwischen Opera seria und Opera buffa. Komische und tragische Elemente sind unauflöslich miteinander verwoben, zwei Paaren auf der Seria-Ebene stehen zwei Buffo- Pärchen gegenüber. Wenn der alte Arsenio auch seine Frau ankeift und in seinem Wahn groteske Tänze aufführt, ist sein Kummer über das Verschwinden der Tochter doch glaubwürdig. Und das Leid des schmachtenden Liebhabers Ippolito wird wiederum durch den Spott der Zofe relativiert.

Auch musikalisch ist „Spinalba“ im Niemandsland angesiedelt: Die umständlichen Rezitative, die überlangen Ritornelle vor den Arien, die schwelgerischen Triller und Koloraturen sind typisch für die Seria. Und doch macht sich de Almeida über seinen eigenen Stil lustig – etwa wenn der Diener Togno die Läufe und Koloraturen von Leandros Liebeslied nachäfft, oder wenn ein hochdramatisches Tremolo seine lächerliche Furcht vor dem verrückten Arsenio illustriert. In ihrer Harmonik bewegt sich die Oper zwischen Spätbarock und Frühklassik – manche Melodien klingen schon, als wär's ein Stück von Haydn.

Die Ausgrabung von „Spinalba“ ist der Neuen Opernbühne Berlin (NOB) zu verdanken, die sich auf selten gespielte Opern spezialisiert hat. Auf der fast leeren Bühne im Kesselhaus der Kulturbrauerei schaffen bewegliche Papptürme wechselnde Räume. Die Sänger passen sich in ihren Bewegungen der Statik der Barockoper an (Regie: Alexander Paeffgen). Die wenigen Requisiten sind tragikomische Symbole: Ippolito (Nicholas Wilson) reicht seinem Rivalen ein rotes Stoffherz, das dieser verblüfft befingert. Später spielen sie mit dem Herz in Zeitlupe Federball. Arsenio (Bernd Gebhardt) und seine Frau gehen auf riesigen Krücken, am Ende stützen sie sich gegenseitig.

Wegen der Gleichwertigkeit der Rollen können sich nicht alle Sänger entfalten. Die ausgezeichnete Sopranistin Lori McCann, die vor zwei Jahren in der NOB-Inszenierung von Brittens „The Turn of the Screw“ die Hauptrolle sang, tritt als Spinalba kaum hervor. Jörg Gottschick mit seinem kohlenschachttiefen Baß ist ein umwerfend komischer Togno. Star der Aufführung ist jedoch das Ensemble Oriol unter Leitung von Sebastian Gottschick. Bei der Premiere fing das Publikum erst zu trampeln an, als die Musiker aufstanden. Auch das macht „Spinalba“ zu einer einzigartigen Oper. Miriam Hoffmeyer

9.–11., 13.–14., 16.517.8., 20 Uhr, Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstraße 97

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen