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Zwischen Kopffick und Kettensägenmassaker

Acht Jahre lang fotografierte Claire Garoutte eine lesbische Sadomaso-Familie, gepiercte Brustwarzen und Schamlippen. Das Hinsehen tut weh  ■ Von Petra Welzel

Sie muß nur beiläufig das Wort „Kettensäge“ fallenlassen, schon bekommen die Frauen Angst, weil sie nicht mehr wissen, wozu Tucci im nächsten Moment fähig sein wird. Dann ist Tucci der Mann, wenn sie über ihre Gespielinnen diese vollkommene Macht und Gewalt gewonnen hat. Es ist ein bißchen wie in dem Skandalfilm der 60er Jahre, „Peeping Tom“, in dem der sexuell gestörte Tom nur dann zum Orgasmus kommt, wenn seinen Opfern während des Geschlechtsakts die Todesangst in den Augen steht. So schnürt er den Frauen mit einem roten Band langsam die Kehle zu.

Nur, Tucci ist weder sexuell pervers – auch wenn das einige behaupten würden –, noch geht sie jemals so weit, ihren Liebhaberinnen eine vergleichsweise ähnliche Form von Gewalt anzutun. Tucci ist lesbisch und in der Sadomaso- Szene der Westküste der USA zu Hause. Seit acht Jahren lebt sie mit ihrer Freundin C-Lee zusammen in Seattle. Sie ist die „femme“, Tucci der „butch“ in ihrer Beziehung. Und mittlerweile haben beide eine ganze SM-Familie um sich geschart. Da ist Biff, ihre Sklavin, Jess, ihr Lehrmädchen, Rusty, das „Haustier“ ihrer gemeinsamen Geliebten Jay, Mo, das Girl für gewisse Stunden, und Vlad, natürlich auch eine Frau, die aber der einzig wahre Mann im Haus ist. Das heißt, sie spielt ihn.

Die letzten acht Jahre hat auch die amerikanische Fotografin Claire Garoutte mit Tucci, C-Lee und ihrer „family“ verbracht. Herausgekommen ist jetzt dabei eine „Sache des Vertrauens“, ein zweisprachiger Text- und Fotoband, ein einmaliges Dokument aus der Sadomaso-Welt, an dessen Ende eine ebenso besondere Freundschaft zwischen der Fotografin und ihren Modellen steht. Doch keinem der Bilder merkt man diese intensive Beziehung an, wie etwa den Fotografien von Nan Goldin, die permanent Bilder aus ihrem persönlichen, oft syphigen Umfeld von Drag-Queens, Sex und Drugs liefert. Garoutte bleibt hinter der Kamera – auf Distanz.

Was auf sie zukommen würde, als sie das Lesbenpaar 1988 auf dem Filmfestival von Seattle traf, war ihr anfangs nicht bewußt. „C-Lees nackter Rücken war mit Zeichen geschmückt, die ganz frisch in ihre Haut geritzt waren; das Blut trocknete in langen Linien. Sie hielten sich liebevoll an den Händen und plauderten und lachten und schienen nicht zu bemerken, wie die Menge um sie herum sie anstarrte. Ich schrieb meine Telefonnummer und eine Nachricht auf einen Zettel: ,Ich bin Fotografin, bitte ruft mich an.‘“

Tucci und C-Lee riefen sie an. Und so wurde Garouttes Objekt der Begierde die Dokumentation einer etwas anderen, gerade beginnenden Familiensaga. Tucci und C-Lee hatten sich erst wenige Wochen zuvor kennengelernt. Und auch SM praktizierten sie erst einige Monate. „Anstatt mich wegzudrehen, schaute ich durch den Sucher meiner Kamera. Dieser Akt entfernte mich von der Szene. Denn die Kamera trennte mich von C-Lees Schnitten, vom Blut, das ihren Rücken herabrann, und vom Schmerz, den sie erfuhr. Ich hörte auf, über meine eigenen emotionalen Reaktionen auf Schmerz und Blut nachzudenken, und bemerkte in voller Schärfe die Stimmung im Raum und die Emotionen, die sie erlebten. Der Raum war ruhig.“ Gerade der Rückzug hinter das Sucherauge ihrer Kamera ermöglichte es Garoutte, in das Innere der SM-Beziehung vorzudringen. „Wenn C-Lee zuließ, daß Tucci sie schnitt, dann war es eine Sache des Vertrauens, daß Tucci nicht zu tief schneiden würde“, erkannte sie.

Eine Sache des Vertrauens ist es bis heute geblieben, auch wenn sich Tuccis und C-Lees Beziehung wesentlich verändert hat. Aus der Zweierkiste wurde nämlich mit den Jahren eine Familienkiste. Das Dilemma besteht darin, daß Sex mit C-Lee für Tucci etwas sehr Persönliches ist, intim und leidenschaftlich, etwas, das sie nicht in ihre SM-Spiele mit einbeziehen und auch nicht mit anderen Frauen teilen möchte. Wenn sie mit C-Lee schläft, will sie nur zärtlich und liebevoll sein. Doch für C-Lee lassen sich Sex und SM nicht voneinander trennen. Zwar liebt sie Tucci, aber den Sex, nach dem sie sich sehnt, kann ihr ihre Freundin nicht geben. „Tucci ist keine aggressive, sexuelle Partnerin, und wir haben keinen Sex miteinander – wir machen Liebe zusammen. Ich suche aber nach einer, die sexuell aggressiv ist und fähig, mich völlig runterzunehmen, und das schließt – in meiner Phantasie – Ficken mit ein.“ Mit einem umgegurteten Penis möchte sie gestoßen und durchdrungen werden. Doch diesbezüglich haben Tucci und C-Lee nun einmal grundsätzlich andere Vorstellungen von Liebe, Sex und Sadomasochismus.

Für Tucci ist das letztendlich das sattsam bekannte Problem einer Mann-Frau-Beziehung: „In vielerlei Hinsicht imitieren wir die Hetero-Welt, weil wir keine anderen Rollenmodelle kennen. Die Frauen sprechen, und die Kerle überhören, was sie sagen, außer wenn wir es neckisch tun. Wir wissen alle, daß wir unsere Partnerinnen nicht kontrollieren können, es sei denn, man ist in einer Top/Bottom- oder Herrin/Sklavin-Beziehung, und die wenigsten von uns sind das wirklich.“ Tucci fickt mit dem Kopf. Mit der Kettensäge droht sie nur.

So kam 1993 Biff ins Haus, seitdem ihrer beider Sklavin. C-Lee hatte sie ein Jahr zuvor in San Francisco aufgerissen und sich Biff unterworfen. Die Zeiten sind vorbei. „Ich denke, Biff ist eigentlich eine gute Herrin. Ich beobachte sie gern, wie sie andere Frauen toppt, aber ich gehe nicht mehr für sie nach unten, weil sie mit uns zusammenlebt und unsere Sklavin ist“, sagt C-Lee heute. Biff ist jetzt ihr und Tuccis Eigentum, das sie schneiden, piercen, auf dem sie ständig ihre blutigen Spuren hinterlassen.

Auch auf Jess lassen sie ihre Blutspuren zurück, am liebsten auf ihrem Kopf. Doch Jess ist nie ihre Sklavin gewesen. Sie unterwirft sich Tucci und C-Lee allein, um die hohe Kunst des Sadomasochismus zu lernen. „C-Lee und Tucci waren die ersten Menschen, die ich traf, die SM als Kunst betrieben. Sie brachten mir fast alles bei, was ich jetzt darüber weiß und wie damit sicher umzugehen ist, auf beiden Ebenen, emotional und körperlich. Als sie mich in die Szene einführten, waren sie wie meine Eltern.“

Mit jedem weiteren Schritt nach außen vergrößerte sich Tuccis und C-Lees Familie. Längst sind ihre regelmäßigen Treffen zu großen künstlichen Events, zu durch und durch inszenierten Spielen geworden. Körper werden gefesselt, jedoch am liebsten mit Nadeln durchstochen oder Rasierklingen tätowiert. Und dabei war bisher immer Claire Garoutte mit ihrer Kamera. Selbst bei einer gestellten Vergewaltigung von Mo, bei der sie von Vlad penetriert wurde, drückte Garoutte auf den Auslöser. „Das war ein sehr schwerer Tag für mich“, gibt sie im nachhinein zu. Trotzdem glaubt Garoutte, sich mit den SM-Frauen und ihren Wünschen identifizieren zu können, auch wenn sie nie den Schritt vor die Linse machte, geschweige denn sich an den SM-Spielen beteiligte. Lediglich die Nachbarin von Tucci und C-Lee ist Garoutte mittlerweile geworden. Was sie meint zu verstehen, ist, warum sich viele Lesben und Schwule, die von ihrer natürlichen Familie verstoßen werden, eine Familie ihrer Wahl suchen mit den Strukturen und Gesetzen ihrer Wahl.

„Was mich so faszinierte an ihnen, war einfach, daß sie so kreativ waren in ihren Spielereien. Wenn die beiden anfingen zu spielen, begann ich diese Inszenierungen zu fotografieren.“ Ist also alles nur ein Spiel mit dem „schönen“ Schein? Sicher nicht. Und so bleiben Garoutte Zweifel am Durchblick: „Ich glaube nicht, daß ich C-Lee und Tucci vollständig verstehe, aber ich verstehe sie sehr gut.“

Claire Garoutte: „Matter of Trust. Sache des Vertrauens“. Konkursbuchverlag, Tübingen 1996, 176 S., 120 Fotografien, 48 DM

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