: Die Stadt, der Müll, die Armen
Innenbehörde will Stadtbild reinigen: Unästhetische Obdachlose, Bettler und Junkies sollen mittels verschärfter Gesetze verschwinden ■ Von Silke Mertins
Die Hamburger Innenbehörde will „sozial unangepaßte“ Menschen mit Hilfe verschärfter Sicherheits- und Ordnungsgesetze aus dem Stadtbild entfernen lassen. In einer vertraulichen Senatsdrucksache mit dem Titel „drohende Unwirtlichkeit der Städte“, die der taz vorliegt, beklagen Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) und sein Staatsrat Wolfgang Prill das „derzeitige Erscheinungsbild“ der Elbmetropole. In der Auflistung der „Beeinträchtigungen“ der urbanen „Attraktivität“ Hamburgs sind neben Hundekot, wilden Müllhalden, Graffiti und Vandalismus auch Obdachlose, Bettler, Alkoholiker und Junkies aufgeführt.
Die Toleranz der Bevölkerung würde vielerorts durch Trinkertreffs, Drogenkonsumenten und Bettler, „insbesondere von bettelnden Sinti und Roma“, über Gebühr strapaziert. Das sichtbare Elend von „Randständigen“ und die „Verwahrlosung“ öffentlicher Plätze riefen unangenehme Gefühle beim Bürger hervor. Auch die „Visitenkarten“ Hamburgs, insbesondere der Innenstadtbereich, müßten von auffälligen Personen „freigehalten“ werden. Dazu würden „zusätzliche repressive Maßnahmen“ geprüft.
Leider reiche die derzeitige Rechtslage in Hamburg nicht aus, um die durch „diesen Personenkreis“ (Obdachlose, Bettler) hervorgerufenen „Gefahren oder Störungen“ mit „Ingewahrsamnahmen“ zu ahnden, bedauert das vertrauliche Behördenpapier.
Deshalb fordert die Senatsdrucksache die Justizbehörde auf, die „Einführung neuer Ordnungswidrigkeiten- oder Straftatbestände zur Ahndung von Bettelei und/oder Alkoholgenuß auf öffentlichen Verkehrsflächen zu prüfen“. Konkret kämen verschärfte Gesetze gegen Randgruppen einer Wiedereinführung des „Landstreicherparagraphen“ (Paragraph 361 StGB, alte Fassung) gleich. Der stellte Landstreichen, Betteln und Verwahrlosung unter Strafe und wurde in den 70er Jahren abgeschafft, weil man nicht länger die Armen, sondern die Armut bekämpfen wollte.
Eine „Erweiterung des ordnungs-politischen Instrumentariums“ sieht das Papier der Innenbehörde auch für die Junkies vor. Da die erst kürzlich verschärften Platzverweise und Gebietsverbote auf den Drogenhandel zugeschnitten sind, versucht Wrocklage nun mit einem weiteren Gesetz auch die schlichte Präsenz der Junkies zu bekämpfen. Bei Drogenkonsumenten sei nämlich der Tatbestand der „hilflosen Lage“ nicht immer erfüllt, weswegen die Polizei sie auch nicht einfach in Gewahrsam nehmen könne. Nun möge die Justizbehörde bitte prüfen, ob Bedenken bestünden, Junkies, die sich „im Vorfeld zur hilflosen Lage“ befinden, „zwangsweise“ in eine „medizinisch betreute Unterbringung“ zu verfrachten.
Empörte rechtliche wie auch politisch-soziale Bedenken hat die Justizbehörde bereits zum Ausdruck gebracht. Auch die Behörde für Arbeit, Soziales und Gesundheit (BAGS) weigert sich, soziales Elend strafrechtlich verfolgen zu lassen. Die Baubehörde lehnt es ebenfalls ab, Rechtsverordnungen gegen Bettler („zweckentfremdete Nutzung“) zu erlassen.
In der Senatskanzlei ist das vertrauliche Papier aus der Innenbehörde jedoch durchaus auf Sympathie gestoßen. Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) soll, so verlautete aus Kreisen der SPD, die Stadtreinigungs-Intitiative überhaupt erst in Gang gesetzt haben. Und der von Polizeikrisen geschüttelte Innensenator Wrocklage soll dem bürgermeisterlichen Begehren in seiner politischen Not nachgegeben haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen