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■ Tschetschenien: Der Friede ist noch längst nicht sicherRanküne im Kreml

Der Friede von Grosny ist noch keiner – und wird es auch nie werden, solange die russische Seite nicht weiß, was sie eigentlich will. Die letzten Tage haben bewiesen, was ohnehin jeder ahnte: Rußlands politische und militärische Elite kann und will sich auf keine Lösung des tschetschenischen Debakels einigen. Ranküne untereinander, Ränkespiele um die Macht im Kreml, Angst vor Strafverfolgung oder davor, den Zugang zum Fleischtopf zu verlieren, treiben täglich Dutzende Menschen in den Tod. Lebeds Initiative begrüßt der tschetschenische Gegner, der den Exgeneral sogar für die einzige Figur in Rußland hält, die Frieden stiften kann. Denn der General hat zumindest die Lehre aus Afghanistan gezogen. Die lautet: Einem Volksaufstand unterliegt jede reguläre Armee.

Lebeds Vorwürfe an die Adresse von Innenminister Kulikow, den er für das vorerst letzte russische Waterloo verantwortlich machte, beruhen auf zwiespältigen Motiven. Gewiß ist der Tadel berechtigt, doch schwerer wiegt: Falls Lebeds Mission scheitert, hätte er den Hauptverantwortlichen frühzeitig benannt. So wird Kulikow fallen, wenn auch in Zeitlupe. Dann könnte Lebed versuchen, einen der Seinen an dessen Stelle zu setzen. Seine Ambitionen kaprizieren sich auf die Präsidentschaft, Seilschaften sind beizeiten vonnöten. Vielleicht gelingt es Premier Wiktor Tschernomyrdin, Lebed Einhalt zu gebieten. Das hält allein der Präsident in seinen Händen. Das napoleonische Gebaren des ungeschlachten Sicherheitssekretärs mißfiel dem Premier vom ersten Augenblick, weil es die eigenen, nicht bescheideneren Pläne durchkreuzt.

Militärs wie Kulikow gießen eher Öl ins Feuer, als daß sie zum Ölzweig griffen. Desgleichen fürchtet Präsident Doku Sawgajew, Moskaus Marionette in Grosny, den Frieden wie der Teufel das Weihwasser. Der Erfolg der Rebellen läßt vermuten, daß er ohne Assistenz aus Moskau nicht möglich gewesen wäre. So müssen zwei Figuren, Sawgajew und Kulikow, schließlich von der Bühne gefegt werden, um den Weg zu einer Lösung frei zu räumen. Nur: Wie läßt sich verhindern, daß Lebed den Lorbeerkranz davonträgt? Das ist eine Vorstellung, die im Kreml mehr Revolten auslöst als das tägliche Blut. Klaus-Helge Donath

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