Mitten in die Maßlosigkeit

■ Krautrock-Trio Faust hilft, den Unterschied zwischen poetischer Komik und akustischer Psychologisiererei zu entdecken

Jeder hat schon einmal das Spiel gespielt, auf etwas zu schauen, das näher zu betrachten eigentlich nie naheliegt. Einen einfachen Stuhl beispielsweise. Vielleicht hat sich der eine oder andere auch schon mal gezwungen, einfach immer weiter auf so einen Stuhl zu schauen, wenigstens so lange, bis ihm zu dem Stuhl nichts mehr einfällt. Es wäre möglich, daß der Betrachter in einem solchen Moment anfängt zu lachen, etwas ratlos, etwas irritiert.

Die Musik der Gruppe Faust, seit 1969 auf Platte und diesen Freitag im Westwerk zu hören, liefert neben dem Anlass für ein Lachen dieser Art noch einen kleinen zündenden Funken in dem einen oder anderen Organ. Dieser Funke mag sich für den, der ihn noch nicht erlebt hat, wie ein Beleg für einen sich nähernden Wahn ausnehmen.

Tatsächlich aber erhellt dieser Funke seine gesamte Umgebung für eine Moment, was nichts mit religiösen Erlebnissen sondern mit einer nur allzu klaren Sicht zu tun hat. Das Trio aus dem Krautrockland fertigt aus einem einzigen, über Minuten ab- und anschwellenden, sich weiter verbreitenden und von akustischen Seiteneffekten unterstützten Geräusch Stücke, die es in sich haben.

Das ließe sich jedenfalls leichter behaupten, wenn der coverlesende Fan auf dem Weg zum Hörerlebnis nicht die Information mitbekäme, daß sich eine ganze Platte Rien (französisch: „nichts“) nennt, und daß Stücke zum Beispiel Titel wie „Die Eroberung der Stille“ tragen. Wie nicht wenige der ambitionierteren Musiker aus dem Deutschland der 70er Jahre, erlauben sich auch Faust die Anmaßung etwas Kühnes zu tun nur mit der Absicherung, sich durch einen tragischen oder poetisch gemeinten Überbau die eigene Arbeit zu legitimieren.

Wer über eine Grenze geht – etwa die Grenze des Songs der klassischen Orchester-Instrumentierung oder der Beat-Bands – und sich nicht gleich auf die schmackhafte Genrebezeichnung Musique concrète verläßt, der, das signalisieren Faust, ist sich nicht nur über ein neues Ziel bewußt oder über eine andere Möglichkeit Schönheit zu erreichen. So jemand geht nicht bloß über eine Grenze sondern begibt sich, sagen Faust und einige ihrer Zeitgenossen aus der Generation der Essener Musiktage von 1968 (Ammon Düül, Guru Guru et al.) mitten in die Maßlosigkeit hinein.

In der Maßlosigkeit aber läßt sich nicht mehr tun, als sich ihr auszuliefern oder eben die Konseqenzen eines Deals zu erkennen, wie ihn der maßlose Doktor Faust mal abgeschlossen hatte. Nicht die Tragödie von Goethe sondern die schicksalhafte Maßlosigkeit von Faust mutet so gesehen ein wenig katholisch an.

Das soll aber schließlich doch die wenigsten von einer Musik abhalten, die sich viel vornimmt, die vom Instrument bis zum Anti-Arrangement die Sichtweisen zu wechseln bereit ist.

Der Konzertbesucher erhält zudem eine Chance, zwischen Komik und einer Art akustischer Psychologisiererei einen Unterschied zu entdecken. So kommt man sich selber auf die Schliche. Und macht sich nach dem Konzert auf die Suche nach anderen Plätzen, wo die fällige Arbeit der Entmystifizierung begonnen wird.

Kristof Schreuf

Fr, 23. August, 21 Uhr, Westwerk