■ Nachschlag: Über das Schreiben und andere Probleme: Jan Faktor im Café Clara
Von einem Sommerloch war am Dienstag abend bei der Lesung mit Jan Faktor im Café Clara nichts zu spüren. Wie eh und je, wenn die nimmermüden Brigitte und Adolf Endler das ehemalige Gebäude der obersten Zensurbehörde der DDR zum Orplid verzaubern, war der Saal bis auf die letzten Stehplätze ausverkauft.
Zu Anfang stellte Adolf Endler den über zwanzig Jahre jüngeren Dichter als einen alten Bekannten vor. Faktor übersiedelte 1978 von Prag in den Ostteil Berlins und kam dort mit der Literaturszene am Prenzlauer Berg in Berührung. Gleichwohl blieb er ein Außenseiter: Er war für viele der Spielereien der Szene wohl schon zu alt. Über die Literatur, die in den 80er Jahren am Prenzlauer Berg entstand, hat Faktor einmal geschrieben: „Wenn die großen Themen fehlen, beschreibt man die eigenen Schuhe.“ Nun scheint es so, als sei er zumindest thematisch im gleichen Milieu gefangen. Faktor las zwei sehr unterschiedliche Kapitel desselben Textes. Wie die Schalen einer Zwiebel blättert er die Skrupel ab, die ihn bei der Formulierung des „wirklichen Textes“ befallen. Bis zur Erschöpfung zelebriert er die Angst, beim Wort genommen zu werden: „ich – Georg – bin ein Mensch, der sich immer bemühte, allen möglichst alles ganz detailliert mitzuteilen, allen relevanten Personen in jedem einzelnen Fall über seine Motive und Überlegungen Rechenschaft abzulegen, um zu verhindern, daß nicht einmal ganz kleine Mißverständnisse entstehen oder Fehleinschätzungen seiner Person als Rückstände in den Gehirnen der anderen übrigbleiben und in der Gegend herumgetragen oder sogar weitergestreut werden.“
Faktor ist ein Meister der Selbstverhinderung. Herrlich, wie er sich in epischer Breite über seine minimale Arbeitsmethode ausläßt, wie die Meditation über Sinn oder Unsinn des Schreibens den eigentlichen Text nicht nur überwuchert, sondern ihn ersetzt. Der sich anschließende „Text zur Wirklichkeit“ erschöpft sich in der Innenansicht der Prenzlauer-Berg-Szene, in der Beschreibung der persönlichen Verhältnisse zu Endler, Döring, Anderson, Lanzendörfer, Hesse und anderen. Diese Passagen sind vor allem von biographischem Interesse und wirkten – nach der zur Kunstform ausgebauten Befangenheit gegenüber dem Wort – eher enttäuschend. So einmal mehr der Weg das Ziel. Peter Walther
Nächste Veranstaltung von Orplid & Co.: Brigitte Oleschinski und Jürgen Becker lesen Gedichte, 3.9., Café Clara, Dorotheenstraße 90
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