■ Rosi Rolands Bremer Geschichten: Was ist eigentlich Staatsanwalt Picard für einer?
Ein grün gestrichener vermuffter Gang im Turm der Staatsanwaltschaft in der Ostertorstraße, Eisenspinde mit aufgepappten Fußballbildchen, dann ein noch vermuffteres niedriges Kabuff – guten Tag, wir befinden uns im Dienstzimmer des Herrn Uwe Picard. An der Wand hängt ein Honecker-Portrait, dem mit Lippenstift ein Grinsemund aufgemalt worden ist. So residiert der Bremer Polit-Staatsanwalt, und irgendwie ahnt man: Der Mann will da raus. Mit allen Mitteln. So ein Büro hat er nicht verdient. Und so hat er sich in dieser Woche alle Mühe gegeben, da rauszukommen.
Wer brütet den Plan aus, seine juristischen Haubitzen auf die Bremer Medien auszurichten und die polizeilichen Hilfstruppen, gleich 50 Mann hoch, loszujagen? Ab heute wird zurückermittelt. Also: Was ist Herr Uwe Picard für einer?
Herr Uwe Picard hat eine ziemlich bewegte Vergangenheit, und Herrn Uwe Picard bewegt vor allem eines: Wie kommt ein Mann nach oben?
Frag nach bei den ehemaligen KommilitonInnen. Herr Uwe Picard hat in Bremen studiert und war da ziemlich aktiv – und zwar beim MSB Spartakus, dem Studentenableger der Deutschen Kinderpost selig (DKP). „Der hat da immer die radikalen Sprüche draufgehabt“, erinnern sich die Ex-GenossInnen an den Ex-Genossen, „immer linientreu, eher ein 150prozentiger.“ Nun soll man den Menschen nicht unbedingt ihren jugendlichen Blödsinn vorwerfen. Aber die Picardsche Linksrechtskarriere hat noch einige nette Wendungen genommen. Der Mann scheint sich immer schon für den Zusammenhang von Politik und Justiz interessiert zu haben, und zwar von allen Seiten. Fragt sich bloß, was er dabei gelernt hat, wenn man das vom Ergebnis der letzten Woche her beguckt.
Jedenfalls: Herr Uwe Picard machte im vierten Semester ein Dreimonatspraktikum – und zwar beim Bremer Oberstaatsanwalt Hans Janknecht. So ziemlich alle Bremer JuristInnen, die eben bei diesem Janknecht waren, wollten hernach mit eben diesem Janknecht nichts mehr zu tun haben. Aus gutem Grund. Nicht so unser Herr Uwe Picard. „Der hat damals richtig Blut geleckt“, sagt eine KollegIn. Als das sechsmonatige Schwerpunktpraktikum anstand, da ging Herr Uwe Picard prompt wieder zu Janknecht. Und zum sportiven Ausgleich praktizierte Herr Uwe Picard dann auch noch bei einem ziemlich berühmten Berliner Anwalt: Christian Ströbele, Ex-RAF-Anwalt, Ex-Bundessprecher der Grünen und seit Jahr und Tag in den Vorstandsgremien der taz. Konnte Herr Uwe Picard gleich was über unsere kleine Zeitung erfahren.
Als das Studium des Herrn Uwe Picard sich dem Ende zuneigte und die Karriere lachte, nahm schlagartig der Radikalismus ab. Herr Uwe Picard verließ den MSB, und nach dem Examen wurde er ordentlicher Anwalt. Aber ein unzufriedener. Mehrfach hat er sich bei der Bremer Staatsanwaltschaft beworben, mehrfach ist nichts draus geworden. Aber dafür wurde er Anfang der 90er Staatsanwalt in Potsdam. Machte gar keine gute Figur beim Prozeß um die Brandstiftung beim KZ Sachsenhausen. So eine schlechte, daß öffentlich die Ablösung der beiden Staatsanwälte gefordert wurde, weil die so schlampig ermittelt hatten. Aber da war Herr Uwe Picard nur zweiter Mann, konnte er nicht richtig was für.
Seiner Karriere hat es nicht sonderlich geschadet, um den Jahreswechsel 93/94 wechselte Herr Uwe Picard ins brandenburgische Justizministerium, und als der Posten des Polit-Staatsanwalts durch den Wechsel von hans-Georg von Bock und Polach als Staatsrat ins Innenressort vakant wurde, da erinnerte sich der Generalstaatsanwalt Janknecht gerne an seinen eifrigen Praktikanten. Am 2. Januar trat Herr Uwe Picard seinen neuen Posten an.
Nein, falsch! Da trat Herr Uwe Picard seinen Posten offiziell an. Aber der Mann ist einfach zu eifrig (oder er hat sein vermufftes Turmzimmer vorher schon besichtigt). In der Silvesternacht jedenfalls wurde Herr Uwe Picard mit Handy auf der Sielwallkreuzung gesichtet, wie er der Einsatzleitung der Polizei zuraunte, daß er der neue sei und jetzt da und einsatzbereit, und wenn sie was von ihm wollten, er wäre jetzt halt da. Was die Polizei ein bißchen verblüffte, weil der Staatsanwalt da gar nichts zu suchen hatte. Aber so ist er halt, unser Herr Uwe Picard.
Und so war er auch bei den Chaostagen. Am Tag nach der Verhaftungswelle schlich Herr Uwe Picard – mit Handy – durch die Kaserne, in der das bunthaarige Bremen interniert war, machte ein hochwichtiges Gesicht und erzählte allen, die es hören oder nicht hören wollten, daß er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen sei, und wenn man ihn brauche, er sei jetzt da. Brauchte ihn wieder keiner, fanden PolizistInnen wie RichterInnen eher irgendwie komisch.
„Man spricht ihn besser nicht an“, heißt es auf den Fluren der Staatsanwaltschaft. „Dann erzählt der gleich immer lang und breit, was er denn jetzt schon wieder für unheimlich wichtige Dinge am Wickel hat.“ So einer ist also Herr Uwe Picard. Der Mann will einfach aus seinem vermufften Dienstzimmer raus. Gönnen wir ihm. Vielleicht sollte er sich an seine kommunistische Vergangenheit erinnern. Wie hieß es noch immer? „Jeder nach seinen Fähigkeiten.“ Im Keller wären da noch ein paar Akten zu sortieren, weiß Ihre
Rosi Roland
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