piwik no script img

Kein beliebter Job

Die Ost-Grünen tun sich schwer mit der Suche nach einer Kandidatin für die Bonner Parteispitze  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Als sie bei ihrem Rücktritt letzte Woche ihre Parteifreunde im Osten zu einem Personalvorschlag für ihre Nachfolge aufforderte, wußte Vorstandssprecherin Krista Sager, daß es schwer sein werde, „überhaupt jemanden zu finden, der allen Kriterien gerecht wird“. Was sie nur ahnen konnte: Die Parteifreunde im Osten hatten bereits einen Personalvorschlag erarbeitet. Doch der wurde nur einem, ihrem eigenen, Kriterium gerecht: stärkere Repräsentanz des Ostens in der Parteispitze.

Denn so zufrieden sich auch die Ostler gaben, als der Bundesparteitag im Dezember 1994 Sager und Trittin zum Sprecherduo gewählt hatte, so unzufrieden sind sie mittlerweile mit der Vertretung ihrer Belange. „Wir müssen das Bild abbauen“, so resümiert der Landesvorstandssprecher von Sachsen, Karl-Heinz Gerstenberg, „die Grünen sind eine West-Partei.“ Deshalb hat Sager, so meint sein Sprecherkollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Klaus-Dieter Feige, mit ihrer Aufforderung die „Intention der Ost-West-Debatte der letzten Jahre getroffen“.

Wohlgemerkt: die Intention. Die Konsequenz hat sie zugleich erheblich erschwert. Denn um die Ost-Interessen zu vertreten, hätte bei der Wahl des Bundesvorstandes Ende November ein Mann antreten können, einer wie Feige, dem die politische Erfahrung und das Standing zugesprochen werden, auch die Gesamtpartei zu repräsentieren.

Nun hat Sager mit ihrer für Gerstenberg „unerwarteten Entscheidung“ ihn und seine Parteifreunde in die Bredouille gebracht. Denn nun ist eine Frau gefragt, Reala obendrein, so soll dem parteiinternen Proporz Genüge getan werden. Es muß jemand sein, „der Standfestigkeit hat“, findet Feige, eine „taffe Person“, assistiert der Landesgeschäftsführer der brandenburgischen Grünen, Torsten Ehrke, mit einem „Feeling für die Probleme des Ostens“, fordert das Thüringer Bundesvorstandsmitglied Christiane Ziller. Fähigkeit zur medialen Präsenz und Standing gegenüber Trittin klagen gleich mehrere bei der potentiellen Kandidatin ein.

So klar die Kriterien, so unklar ist die Person, die sie erfüllen kann. Ziller, die über lange Erfahrungen in der Bundespolitik verfügt und seinerzeit in Potsdam gegen Sager nur knapp unterlegen war, will sich aus der Bundespolitik zurückziehen und ihr Studium beenden. Ihre Vorstandskollegin Rita Selitrenny macht von den Fortschritten ihres Studiums abhängig, ob sie überhaupt noch mal für das Spitzengremium kandidiert.

Die einzige Grünen-Ministerin des Ostens, die sachsen-anhaltinische Umweltministerin Heidrun Heidecke, steht nicht zur Verfügung. Die Landesvorstandssprecherin von Sachsen-Anhalt, Undine Kurth hat ebenso abgewinkt wie ihre Kollegin aus Thüringen, Katrin Göring-Eckardt. Auch bei weiteren Namen heißt es „unabkömmlich in der Landespolitik“, und auf kommunaler Ebene, weiß Gerstenberg, ist kaum jemand zu finden.

Und so konzentrieren sich bei etlichen die Hoffnungen auf Marianne Birthler. Der Sager-Vorgängerin wird noch am ehesten zugetraut, den Anforderungen des Jobs zu genügen. Sie habe, meint Feige, „das Charisma, es nochmals zu tun“. Allerdings hat sie auch Widersacher. Ihr eigener Landesverband Brandenburg hat schon Göring-Eckardt seine Unterstützung für den Fall einer Kandidatur zugesagt, und auch in Sachsen-Anhalt stieße Birthler nicht auf ungeteilte Zustimmung. Allerdings müßte sie wohl auch innere Widerstände überwinden, denn den Sprecherinnenposten zählte sie schon mal zu den letzten Dingen, die sie nochmals machen wolle. Anfang September, wenn sie aus ihrem Urlaub zurückkommt, ist mit einer Erklärung zu rechnen.

Mitte September tagt der Länderrat in Erfurt. Bis dahin wollen die Bündnisgrünen sich Zeit geben, eine Kandidatin zu finden. Haben sie sich bis dahin auf keine Frau verständigt, so baut Feige schon mal vor, „werden wir nicht vor Scham in den Boden versinken“. Doch als Schwäche würde es ihnen allemal ausgelegt, wenn sie diese ihnen angebotene Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen. Denn haben sie nicht wie Selitrenny geklagt, der Frust darüber, daß in Potsdam keine Ost-Sprecherin gewählt wurde, sitze tief? Und haben sie nicht darüber lamentiert, daß die vier Ost-Beisitzerinnen im neunköpfigen Vorstand keine vollwertige Vertretung seien, „nicht die gewünschte Wirkung entfaltet haben“, wie Ehrke sagt, „keine Rückkoppelung“ hatten wie Göring-Eckardt ergänzt, „unerfahren und ohne Routine“ agierten, wie Ziller aus der konkreten Erfahrung konstatiert?

Damit das Dilemma nicht eintrifft, hofft Selitrenny, daß mehr Frauen sich den Spitzenjob zutrauen. Andere setzten da eher Vertrauen ins andere Geschlecht und drehen den Spieß einfach um – gegen Trittin. Ziller sieht nicht ein, „daß der Osten nur Kandidaten anbieten darf, die ein ideales Pendant zum Westpartner sind“. Gerstenberg hält es für „durchaus möglich“, daß jemand gegen Trittin antritt. Eine Festlegung auf eine Frau, da ist sich auch das sachsen-anhaltinische Landesvorstandsmitglied Norbert Doktor sicher, „beschränkt zu sehr das Denken“. Er kann auch, wie die meisten aus den Ost-Landesverbänden, der Reala-Fundi-Zuordnung wenig abgewinnen.

Trittin selbst kann der möglichen Konkurrenz gelassen entgegensehen. Er war in Potsdam mit 499 gegen 57 Stimmen gewählt worden, und sein Standing hat seitdem kaum gelitten. Er gilt vielen in der Partei als die notwendige Korrektur und somit ideale Ergänzung zu Joschka Fischer.

Zudem geht man auch im Osten davon aus, daß in den anstehenden Wahlkämpfen Kontinuität an der Parteispitze gefordert ist. Und für die steht Trittin. Schon bevor Sager zurücktrat und damit das Kalkül der Ostler durcheinanderbrachte, zielten die Überlegungen zur Kandidatur gegen Trittin ohnehin weniger auf Sieg als auf einen Achtungserfolg bei der Abstimmung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen