Press-Schlag: Ich gucke trotzdem
■ Entschädigung beim Fernseh-Fußball
Spannend ist Bundesligafußball eigentlich nur im Radio. Besonders schön dabei ist die Konferenzschaltung und ein Wunder gleichermaßen: denn alles ist unsichtbar. Und zwar gleich doppelt. Denn die Aufmerksamkeit richtet sich ja oft vor allem auf die Spiele, die gerade nicht übertragen werden. Während gerade über ein uninteressantes Spiel berichtet wird, konzentriert man sich auf das Spiel der eigenen Lieblingsmannschaft, die immer noch ein Unentschieden hält. Verzweifelt hofft man dann, daß nicht zu dem Spiel umgeschaltet wird, das einen eigentlich interessiert, denn das hieße ja aller Wahrscheinlichkeit nach, daß des Feindes Bemühungen um Sieg und Vernichtung erfolgreich waren.
Wenn sich dann doch die Stimme des zuständigen Reporters in die gerade laufende Reportage mischt und ruft: „Tor, Tor, in sowieso“, spekuliert man für den Bruchteil einer Sekunde noch, daß das Tor auf der richtigen Seite gefallen sein könnte. Dann hört man das Toben der feindlichen Zuschauer. Dann ist das Wochenende wieder versaut. Zynisch lacht man wie der Schalker Trainer Berger, nachdem St. Pauli das 2:3 schoß.
Fußball im Fernsehen wollte ich sagen, ist im allgemeinen eine blöde Idiotie, eine Zeitverschwendung, eine langweilige Sucht, wie etwa die Angewohnheit, die blödsten Computerspiele zu spielen, anstatt etwas Vernünftiges zu machen: beispielsweise ein gutes Buch zur Hand nehmen oder sich das Rauchen abzugewöhnen.
Fußball im Fernsehen entbehrt jeder Spannung. Auch wenn man die Ergebnisse noch nicht kennt. Was in meinem Fall eher selten der Fall ist. Entweder beschallt der Nachbar auf der anderen Seite gerade im Sommer die ganze Straße, oder ein „Freund“ ruft vor der Sportschau an, um Andeutungen zu machen. Manchmal gibt er auch zu verstehen, daß heut' keins der Ergebnisse in meinem Sinn liegen dürfte. Nur damit ich, anstatt Fernsehen zu gucken, mit ihm Schach spiele.
Auch wenn ich Fußball im Fernsehen also ablehne, guck' ich trotzdem. Natürlich gezielt, d. h. mit Videorecorder. D.h., ich nehme die erste halbe Stunde auf und schau' mir das Aufgezeichnete in den Werbepausen an. Zeitersparnis: halbe Stunde.
Auch gibt es einen intellektuellen Gewinn: d. h. man lernt Sätze kennen. Diesmal diese: „Es ging hin und her, und die Tore fielen. Es war einfach unglaublich.“ (Thomforde) Oder, ein Musterbeispiel einer ungewöhnlichen Rhetorik, die Marcel Proust übrigens in seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“ beschreibt: „Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zum Trainer. Das heißt ein ganz normales. Ich halte mich an die Regeln, dann hab ich auch keine Probleme mit ihm.“ (Seeliger über Ristic). Das entschädigt für vieles. Detlef Kuhlbrodt
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