Wühltisch: Die BSE-freie Handtasche
■ Flinke Werbetexter wissen Bescheid: Das Vokabular, das früher nur Umweltgruppen benutzten, ist heute ein Muß
Ein schönes Beispiel dafür, daß die Gesellschaftskritik der siebziger Jahre in vollem Umfang erfolgreich war, liefert gegenwärtig die Werbung für gediegene Konsumgüter. Früher war nichts weiter vonnöten, als sich den besonderen Geschmack, der bekanntlich schon immer etwas teurer war, entsprechend bezahlen zu lassen. Heute ist der politisch wie ökologisch korrekte Einkauf oberstes Konsumentengebot.
Die einstigen Marschierer von Brokdorf und anderswo nehmen die eifrigen Produzentenbemühen genüßlich beim Soave und im Leinenanzug aus Sri Lanka zur Kenntnis. Gescheitelte Juniorchefs befleißigen sich derweil darin, gegen den Makel der Massenproduktion Firmenphilosophie und Manufakturgeschichte gewinnbringend einzusetzen.
Eine Antwort auf die Wegwerfgesellschaft glaubt beispielsweise der Lederwarenhersteller Goldpfeil, im Jahre 1856 vom Buchbinder Ludwig Krumm als Offenbacher Portefeuilles-Fabrik gegründet, anbieten zu können. Flinke Werbetexter haben inzwischen ihr Vokabular aus der Umweltgruppe Bielefeld von 1979 eingearbeitet. „Bei der Fertigung exklusiver Lederwaren sind ökologische Überlegungen von qualititiven so wenig zu trennen wie die Kuh von der Wiese. Die Erwartungen an die Langlebigkeit unserer Accessoires verpflichten zu den hochwertigsten natürlichen Rohstoffen.“
Das Rechtschreibprogramm meines Computers moniert das Adjektiv „hochwertigst“, weil Bestes nur durch grammatikalische Notzucht zu steigern ist, aber das nur am Rande. Wichtiger ist der Erkenntnisgewinn, den wir angesichts einer ollen Aktentasche früher nie anzunehmen gewagt hätten. „Bereits Klima, Futter und artgerechte Haltung (kennt das Rechtschreibprogramm übrigens auch nicht) der Rinder entscheiden maßgeblich über die spätere Lederqualität.“
Nur glückliche Freilandrinder geben gute Handtaschen ab; da versteht es sich von selbst, daß ihnen keine geschredderten Schafsköpfe verabreicht worden sind. „Die Rothäute werden mit besonderer Sorgfalt ausgewählt und anschließend von Traditionsbetrieben wie Hamann bei Mülheim an der Ruhr gegerbt.“
Den Minikoffer mit Schuhputzeinrichtung, abschließbarem Kofferschloß und Lederinnenausstattung gibt es schon für 1.790 Mark, wobei zu fragen ist, warum man es in der Preisklasse noch nötig haben sollte, seine Schuhe selbst zu putzen. Knapp 3.000 Mark kostete der kastenförmige (40 x 31 x 17 cm) Aktenkoffer mit abschließbarem Kofferschloß und Büroeinrichtung. Auf dem Bild lugen aus dem Tragegefäß aus blauem Leder sichtbar ein Füllfederhalter, die Financial Times und ein Handy heraus. Offenbar mochte man die Käuferphantasie nicht mit dem Gewicht eines Schlepptops (gegen das Wort hat das Rechtschreibprogramm übrigens nichts einzuwenden) belästigen. Der Flachmann, ebenfalls in Blau, heißt im Katalog „Reiseflasche“ und kostet preiswerte 149 Mark (gültig bis 31. Dezember 1996).
Mein Lieblingsstück im Goldpfeil-Sortiment ist die Brieftasche mit diversen Einsteck- und Kreditkartenfächern aus rotem Leder für 285 Mark. Es hält Aufbewahrungsoptionen nicht bloß für Geld und Karte offen, sondern auch für Zettel und Blätter, auf denen beispielsweise das von Sascha Guitry stammende Firmenmotto vermerkt sein könnte: „Ich habe zuwenig Geld, um billige Sachen zu kaufen.“ Und reiche Poeten, sollen wir daraus wohl lernen, produzieren nur mäßige Produktinformationen. Harry Nutt
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