: Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 40
„Keine Angst, Familie“, rief Glatter, „ihr habt es nur mit mir zu tun, mit mir allein!“ „Und warum?“ „Weil ihr mich ins Altersheim bringen wollt. Und das ist Mord, ein kaltblütiger Mord!“ Die Animierdamen aus dem Saloon klatschten Beifall. Der Wirt gab Whisky an die Zuschauer aus. Glatter sattelte seine letzten Gedanken. Er mußte jetzt in die letzte Nacht, in dunkle Tiefen reiten, immer tiefer und tiefer, bis in das Zentrum des Todes. Familie wartete auf seine Entscheidung. Glatter blitzschnellte aus dem Fenster. Sein Körper kugelte sich in der Luft und zielte präzise auf die Köpfe der Kinder und Enkelkinder. Familie aahhte. Familie ooohte. Sie lähmten sich. Sie sprangen nicht zur Seite, um ihre kümmerlichen Leben zu retten. Und Glatter schlug wie eine Bombe ein. Es wurde still und unbeweglich auf der Langen Reihe. Die Bürger von St.-Georg-Town waren gebannt vor Schrecken und Entsetzen. Plötzlich begannen alle zu laufen, um nachzusehen. Sie zählten vier Leichen. „Sehr witzig!“ sagte Sohn. „Ich weiß!“ kicherte Glatter. „Los, Kohle schippen!“ Der Teufel trat sie in den Arsch.
Der Tag der Zusammenkunft ist gekommen. Kopf um Kopf. Schwert gegen Schwert
Afram läßt sich das Scheißen nicht mehr verbieten und außerdem wird es Zeit, daß der Zensor nicht nur aus seinem Kopf sondern auch aus diesem Buch verschwindet. Schließlich kann es nur einen geben ...?
Es gab Stunden, da zahlte Afram 120,- DM, um über Zensor etwas in Erfahrung zu bringen. Und andere Stunden beim Therapeuten, die nicht mehr als ein Spiel aus Rede und Antwort waren, die seine Fragen zu noch mehr Fragen werden ließen. Und dann endlich kam Aframs große Stunde, die Stunde der Freiheit. Sie kostete ihn nicht einmal seinen Kopf. Afram saß ohne einen Gedanken an einen Widerstand auf der Toilette. Er zählte die Kacheln mit den Sprüngen. Und die Biologie nahm ihren Lauf. Aframs Harn lief ohne Kontrolle im Becken ab. Es war eine dieser ganz gewöhnlichen Sitzungen, nur begleitet von einem Comic. „Du sollst nicht drücken!“ unterbrach Zensor voller Haß das einsame und stille Geschäft von Afram. „Du hast mich nicht gefragt, ob du drücken darfst!“ „Aber ich mache keinen Druck!“ entschuldigte sich Afram, das Kind. „Was oder wer drückt dann!?“ tobte Zensor. „Der Darm!?“ Afram bewegte unentschlossen seine Schultern. Sie hatten auch keine Ahnung. Der Darm zog mit einem eindeutigem Geräusch den Verdacht sofort auf sich. Prrp! „Er soll sofort aufhören mit diesem Drücken!“ Der Darm ließ seine Muskeln weiter spielen. Afram druckste mit Worten. Er drängte seinen Darm aber nicht. Er drückte auch nicht. Es drückte sich alles von selbst aus. Schließlich suchte sich die Natur ihr Recht. Sein Körper entleerte sich. Zensor erbrach sich bei der Vorstellung über den eklen Brocken in der Toilette. Er hatte die Schweinerei nicht verhindern können. Der Darm hatte die Macht des Zensors gebrochen. Der Darm hielt also zu Afram. Und Afram hörte aus einem seiner seelischen Abgründe einen längst vergessenen Rat: Wenn Sie Zensor zum ersten Mal besiegen können, wird das auch der erste Schritt für Sie sein, um ihm für immer den Mund zu schließen! Afram zog sich die Hosen hoch. Die Luft schmeckte nach Scheiße. Klosteinen. Fichtenspray. Und Afram hatte wieder die Kraft des einen Herzens. Einen Tiger in der Hand. Er mußte Zensor aus dem Weg räumen. Und zwar sofort. „Was sollte das?“ provozierte Afram eine Frage an Zensor. Zensor verweigerte die Aussage. Afram ging in seinem kopf auf und ab. Und Zensor blieb stumm. Sie trafen sich an einem neuralgischen Punkt. Ihre Blicke duellierten sich kurz. „Leih mir dein Ohr – für eine Minute. Ich hab' dir was zu erzählen.“ Aframs Blick wurde geheim. „Na, endlich!“ Zensor reichte Afram sein Ohr. Es sperrte sich sofort für Afram auf.
(Fortsetzung folgt)
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