: "Nur gute Waffen wirken abschreckend"
■ Der Verteidigungsexperte der SPD, Karsten Voigt, zur Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien und Kroatien und die deutsche Befindlichkeit: Deutsche Soldaten werden von allen Konfliktpartei
taz: Bundesverteidigungsminister Volker Rühe kann sich eine Stationierung deutscher Truppen in Bosnien im Rahmen eines Post- Ifor-Einsatzes vorstellen. Noch vor einem Jahr war ein solcher Gedanke bei fast allen Politikern – auch Ihrer Partei – tabu.
Voigt: Ich kann mir aufgrund der Erfahrung des vergangenen Jahres ebenfalls eine Stationierung deutscher Einheiten in Bosnien vorstellen. Der Grund ist einfach: Die in Kroatien stationierten deutschen Einheiten haben bisher schon häufig Aufträge in Bosnien ausgeführt und sind dabei von allen Konfliktparteien akzeptiert worden – zum Teil sogar mehr als die Truppen anderer Nationen. Es gibt für uns gegenüber den andereren Nationen keinerlei Grund mehr, warum nicht deutsche Soldaten mit den gleichen Rechten und Pflichten und unter den gleichen Bedinungungen beteiligt sein sollen.
Hat das Argument der besonderen Rolle, die Deutschland aufgrund seiner Geschichte hat, keine Gültigkeit mehr?
Die Geschichte wirkt in die Gegenwart, aber sie bestimmt nicht die Zukunft für alle Zeiten. Es ist gut, daß die Deutschen sich der besonderen Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Nationalitäten im ehemaligen Jugoslawien bewußt sind. Dies hat auch das Auftreten der Soldaten dort im vergangenen Jahr gezeigt. Es gibt selbst bei den Serben jetzt keine Kampagne mehr gegen die Präsenz der Deutschen.
Es ist aufgrund dieser Erfahrung, und das sage ich auch in meiner Eigenschaft als Präsident der nordatlantischen Versammlung, gegenüber den Partnerstaaten, seien es Nato-Mitglieder, seien es ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten, eine Rolle der Deutschen, die sich prinzipiell von der der anderen unterscheidet, nicht mehr zu vertreten.
Sie haben vor kurzem vor einer Entfremdung der nordatlantischen Partner gewarnt. Befördert denn eine Gleichstellung der Deutschen den Gegentrend?
Es ist ein Element von vielen, das dem Prozeß entgegensteuert, und ein Argument, das es mir bereits erleichtert hat, gegenüber amerikanischen Kollegen darauf zu beharren, daß sie einer Fortsetzung des amerikanischen Engagements in Bosnien zustimmen.
Sehen Sie noch Vorbehalte gegen eine deutsche Vollbeteiligung in Bosnien?
Es wäre erstaunlich, wenn es solche nicht gäbe. Aber meine Erfahrungen besagen, daß man eine deutsche Beteiligung wünscht, ja, sie sich eigentlich schon früher gewünscht hätte und jetzt geradezu als selbstverständlich voraussetzt.
Ein Einsatz, wie ihn Rühe skizziert hat, würde eine Umstrukturierung der Verbände bedeuten. Man würde sich einem Kampfeinsatz nähern.
Die Verringerung der Zahl der in Bosnien-Herzegowina stationierten Soldaten bedeutet auch eine Verringerung der Waffen. Das heißt, daß die Lage als weniger riskant einzuschätzen ist als noch vor einem Jahr. Die Stationierung der Truppen ist jedoch nach wie vor erforderlich, um Kämpfe zu unterbinden. Um diese Funktion zu erfüllen, müssen sie gut ausgerüstet sein. Nur wenn sie gut ausgerüstet sind, können sie bei potentiellen Konflikten abschreckend wirken und diese damit unwahrscheinlich machen.
Gleichwohl rücken damit die Soldaten näher an einen Kampfeinsatz heran. Das zählt in der innerdeutschen Debatte.
Das ist mehr eine Debatte über die deutsche Befindlichkeit als über die reale Lage. Das Gegenteil dessen, was Ihre Frage unterstellt, ist wahr: Dadurch daß die deutschen wie die anderen Verbände gut ausgerüstet und in genügender Zahl präsent sind, wird ein Angriff aussichtslos gemacht. Das heißt, nicht die gute, sondern die schlechte Ausrüstung ist der Weg zu Kampfhandlungen. Die aus der deutschen Befindlichkeit herrührende Argumentation, die aus der guten Ausrüstung der Soldaten, die auch die Kampffähigkeit einschließt, die Wahrscheinlichkeit von Kampfhandlungen ableitet, geht an der Realität vorbei.
Rudolf Scharping hat erklärt, er halte nichts davon, den Einsatz der Bundeswehr zu verändern.
Diese Äußerung ist aufgrund der Diskussion in Deutschland verständlich, hat aber wenig mit der Lage im ehemaligen Jugoslawien zu tun.
Wird Ihre Fraktion einer Verlängerung des Ifor-Einsatzes zustimmen?
Es wird ein neues Mandat geben müssen. Ich glaube, daß die Mehrheit der Fraktion dem positiv gegenüberstehen wird. Das sage ich unter dem Vorbehalt, daß die einzelnen Umstände noch geprüft werden müssen. Interview: Dieter Rulff
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