: Alleingelassene Figuren
■ Die erste Hamburger Ausstellung von Michael Irmer
Schmal und armlos, handlungsgehemmt wie Mumien stehen die Bronzefiguren im Raum und spiegeln sich in den schwarzen Umrissen auf den erdhaften Bildern an der Wand. Der Düsseldorfer Künstler Michael Irmer arbeitet mit Konsequenz an einem einzigen Thema: der menschlichen Figur. Dabei stehen die oft an das große Vorbild Alberto Giacometti erinnernden Menschenschatten, gleich ob gemalt oder plastisch, im geistigen Raum eines düsteren Existentialismus.
Fünfunddreißig Bronzen, Gemälde und Graphiken zeigt jetzt die Galerie Gardy Wichern. Grauabstufungen und erdig beige Töne geben den schrundigen, geritzten oder teerschwarz umrissenen Figuren auf der Leinwand einen vielschichtigen Halt, die freistehenden Plastiken scheinen selbst hier in der Galerie noch allein und hoffnungslos, ein bißchen wie eine Versammlung von Wesenheiten im Hades, denen langsam die Erinnerung an die Existenz verblaßt.
Formal an der Grenze von Erscheinen und Verschwinden forscht diese Kunst auf fast mythische Weise nach den Grundfragen des Lebens. Das wurde besonders in Kirchenkreisen gut verstanden und hat schon zu mehreren Ausstellungen in Kirchen geführt. Eine literarische Parallele darf in den dunklen Welten Franz Kafkas gesehen werden, hat doch Michael Irmer auch für die Aufführung einer Adaption von dessen Prozeß ein Plakat realisiert.
Erwin Heerich, Kunstprofessor in Düsseldorf, sagte einst über die Bilder seines Schülers Michael Irmer: „Sie handeln von Menschen und ihrem Lebensraum, von Begegnungen und Aufbrüchen, von Trauer und Betroffenheit...“. Auf der Vernissage am Donnerstagabend herrschte vor allem die Trauer: Der 41jährige Künstler war am Dienstag auf dem Weg zum Ausstellungsaufbau auf der Autobahn vor Hamburg auf einen Lastwagen aufgefahren, schwer verletzt ins Krankenhaus gekommen und am Mittwoch abend gestorben.
Doch wenn es denn stimmt, daß Künstler in ihren Werken leben, ist es auch richtig, wie geplant die erste Ausstellung Michael Irmers in Hamburg durchzuführen – als Vermächtnis.
Hajo Schiff
Galerie Gardy Wichern, Alter Steinweg, di, mi, fr, 12-18, do 12- 20, sa 11-15 Uhr, bis 28. September
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen