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■ NormalzeitDie Neue Härte im Weichbild der Stadt

Am Checkpoint Charlie, am Jannowitz-Center, am Potsdamer Platz – immer öfter stößt man auf die derzeit in Berlin beliebteste architektonische Form: den Schiffsbug. Das soll aggressives Durchpflügen des Weltmarktes symbolisieren. Unterm Dach residiert der Kapitän des neuen High-Tech-Tankers. Er verläßt stets als letzter das Schiff: deswegen brennt im obersten Stock oft das Licht bis in die späte Nacht.

Ja, so sind sie, unsere neuen Dienstleistungscenter mit ihren zupackenden Topmanagern an der Spitze. Bei der Treuhand fuhren die meisten Jungmanager einen Geländewagen – damit waren sie auch in der Wegelosigkeit des Ostens nicht aufgeschmissen (die Privatisierungs- und Abwicklungsdirektoren durften ihr Krisenmanagement gar mit Hubschraubern betreiben). Wenn man jetzt in die in BvS umbenannte Resttreuhand – am Alexanderplatz – will, sieht man eine Reihe schwerer Motorräder vor der Tür stehen: Die märkischen Alleen sind alle neu asphaltiert, und es geht im Grunde nur noch um Botendienste.

Wenn man in die Hackeschen Höfe tritt, liegt dort überall eine „Standortmarketing“-Zeitung namens Freiraum aus, in der sämtliche Medien aufgezählt werden, die im Umfeld der Hackeschen Höfe, die Wim Wenders neulich gerade als „magischen Ort“ bezeichnete, angesiedelt sind: von RTL und Sat.1 bis zur „besten Kiezzeitung der Welt: scheinschlag, auch die „europäische Kulturzeitung lettre ist dort beheimatet. Eigentlich fehlt nur noch ein „Internet-Café“ an diesem Mega-„Medienstandort“, schreiben die Herausgeber „New Roses Projektbetreuung“: „Wir dürfen gespannt sein, welcher Bauherr in der Spandauer Vorstadt diese Idee aufgreift.“

Ja, das dürfen wir. Neben der zunehmenden Zahl von geplanten und bereits in Angriff genommenen Yachthäfen (für all die verhinderten Commodores) sind bisher zwölf Golfplätze rund um Berlin entstanden, übrigens genauso viele wie „Multi-Center“. Die reichsten Golfer spielen am Seddinsee bei Michendorf, wo nach Auskunft eines der drei Gesellschafter die „größten Steuerzahler Berlins“ ihre Villengrundstücke am dazugehörigen Country-Club entworfen haben: Ihre Häuser werden dort rund um die Uhr personen- und videoüberwacht sein.

Schon jetzt gibt es Untersuchungen darüber, daß 87 Prozent aller Großgeschäfte beim Golfspielen abgeschlossen werden. So gesehen erweist sich die letzte Fruchtfolge „Golf-Erwartungsland“ (80 Anlageanträge lagen dem Umweltministerium in Potsdam zur Genehmigung vor) am Ende noch als ein neuer Nährboden für kreatives Marketing...

Um es kurz zu machen: Es wimmelt nur so in und um Berlin von neuen Innovationszentren. Auch die überaltertsten Organisationen liegen schon voll im Trend: So läßt die IG Metall gerade ihr Flaggschiff in der Alten Jakobstraße aufmöbeln, und die SPD ließ sich ein neues Hauptquartier mit Bugspitze bauen. Das reicht aber alles noch nicht: Das Facelifting muß bis in die hedonistische Azubi-Szene getrieben werden: „Esprit“ wirbt jetzt mit einem weiblichen Teenager, der so entschlossen wie ein Nordlandfahrer dreinschaut. Seine „Markanz“ besteht in einer aggressiv-ausgeprägten Kinnpartie, die aufs harmonischste mit der Berliner Bug-Architektur korrespondiert. Dazu paßt jener Teil der Telekom-Werbung, auf der ein Süßwassermatrose das T-Aktien-Zeichen macht.

Eigentlich fehlt nur noch ein Marineministerium, um diese ganze neue Berlin-Urbanität zu einem einzigen, postmodernen „Panzerkreuzer Potemkin“ zusammenzuschweißen. Die Frage ist nur: Was soll so ein stählernes Scheißding mitten im märkischen Sand? Helmut Höge

wird fortgesetzt

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