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Bildung bei Nacht und Nebel

Von dunklen Machenschaften und Rotlichtmilieu: Die Volkshochschule Hamburg bietet mehr als „ein bißchen rumtöpfern“  ■ Von Katrin Seibold

Die Gruppe, die da nächtens über die Reeperbahn spaziert, kommt nicht mit dem Bus aus Castrop-Rauxel. Sondern von der Volkshochschule um die Ecke. „Nachtarbeit“ war das Thema eines Kurses im vergangenen Semester; wer was arbeitet, wenn andere Leute schlafen, wollten die TeilnehmerInnen ergründen. „Viele Leute denken, daß wir ein bißchen rumtöpfern oder EDV unterrichten“, sagt VHS-Kursleiterin Friederike von Gehren, „aber das stimmt nicht.“ „Um Gottes willen: Sankt Georg!“ heißen die Kurse, „Flower power – Schätze der Natur“, „Telefonmarketing“, „Neuhebräisch“ oder „Inline-skaten downtown“.

„Die Volkshochschule ist nicht mehr das, was sie mal war“, resümiert Pressesprecher Dieter Trautmann-Güse die mittlerweile 76jährige Geschichte der Hamburger VHS. Von den gut 70.000 TeilnehmerInnen, die 1995 einen Kurs belegten, hatten sich mehr als 20.000 im Bereich Fremdsprachen eingeschrieben, rund 15.000 wählten die Sparte Kultur. Auch Deutsch als Fremdsprache und Gesundheit und Umwelt seien mit 8000 beziehungsweise 7500 Interessierten sehr beliebt.

„Eine rasante Veränderung hat vor allem im Sektor der beruflichen Bildung eingesetzt“, sagt Trautmann-Güse. Sehr viele Leute wollten auf eigene Faust Marketing, Controlling, Streßmanagement oder Moderationstechniken lernen. Aber auch Firmen schickten ihre Mitarbeiter, um sie zusätzlich zu qualifizieren.

Stoff pauken heißt bei solchen Kursen die Devise. „Denn die Leute wollen was lernen“, sagt Pressesprecher Trautmann-Güse. Dagegen suchen viele gerade bei kulturellen Kursen die Geselligkeit. „Ich finde es schön, wenn die unterschiedlichsten Leute aus den unterschiedlichsten Gründen in einem Kurs zusammenkommen“, erzählt Kursleiterin von Gehren. Wie zum Beispiel bei der Veranstaltung „Nachtarbeit“: Da waren alle Altersgruppen von 20 bis 60 vertreten.

Dunklen Machenschaften, Taxifahrern, Theaterleuten und den Polizisten von der Davidwache haben die TeilnehmerInnen des Nachts hinterhergespürt. Und einiges erlebt: Als die Gruppe Freitag um 22 Uhr auf der Davidwache eintraf, wurde sie Zeuge, wie zwei 20jährige „mit viel Geschrei an allen vieren von Polizisten in die Wache geschleppt wurden, weil sie mit Eddings eine Wand beschmiert hatten“. Dann wurden sie „einfach in eine Zelle gesperrt“. Die Gruppe, noch etwas schockiert von der Besichtigung der Zellen, in denen „die Massen nach Fußballspielen wie Vieh eingepfercht“ würden, habe sehr angeregt „mit den Polizisten darüber diskutiert, warum sie so rigide Methoden anwenden, um einfach ihre Ruhe zu haben“.

Andererseits, berichtet Friederike von Gehren, hätten sich die Beamten rührend um einen Rollstuhlfahrer gekümmert, der gelähmt war und deshalb offensichtlich nicht sprechen konnte. Mit Hilfe eines selbstgemalten Alphabets habe ein Polizist schließlich herausgefunden, aus welchem Ort der Mann verlorengegangen sei. „Wir haben auch gelernt, wie eng der Lokalbezug ist.“ Viele der Missetäter sind für die David-Wachen alte Bekannte, andererseits suchen häufig Leute aus dem Rotlichtmilieu bei ihrem speziellen Polizisten um Schutz nach.

„Richtig gruselig“ sei es ein anderes Mal gewesen, als sie mit einem Sprayer mitgegangen seien. Eine richtige Nacht-und-Nebel-Aktion war dies allerdings nicht, die Kursleiterin hatte sie vorher von der Deutschen Bahn genehmigen lassen. An deren Brückenpfeiler am Diebsteich demonstrierte der 20jährige Sprüher dann seine Graffiti-Künste. „Da haben wir gemerkt, wie laut sowas eigentlich ist.“ Die Angst des Sprühers vor der Polizei, die Sorgfalt bei der illegalen Verzierung und die komplizierten Regeln, die es unter den Sprayern gebe, das alles sei sehr beeindruckend gewesen.

Neben dem atmosphärischen Kitzel erhielten die KursteilnehmerInnen aber durchaus nützliche Alltagstips. Bei der Regenbogenzentrale von „das Taxi“ wurden sie über kollektive Arbeitsweisen aufgeklärt und darüber, daß ein Taxifahrer gesetzlich verpflichtet ist, einen Passanten ab einer Distanz von 400 Metern mitzunehmen. Die Lektion der Deutschen Bahn ist gar Geld wert: Wer nachts wegen eines verspäteten Zuges den Anschlußzug verpaßt, bekommt von der Bahn eine Übernachtung im Hotel und das Taxi dorthin bezahlt.

Auch im kommenden Semester steht ein Kurs auf dem Programm, der sich mit dem Hamburger Rotlichtmilieu auseinandersetzt. In Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt sollen dabei in größerem Rahmen Kriminalität und Polizeiarbeit im Milieu unter die Lupe genommen werden.

„Das sind alles Dinge, mit denen wir täglich zu tun haben, über die wir aber viel zu wenig wissen“, schwärmt Friederike von Gehren. „Und sowas von den Betroffenen vor Ort im Gespräch zu erfahren, ist jedenfalls informativer und lebendiger, als in einer Broschüre nachzulesen.“ Bleibt nur noch die Qual der Wahl – oder die Frage, was sich hinter Titeln wie „Wer den Tiger reitet“, „Bohnenstange trifft Spargeltarzan“ oder „St. Pauli da Vinci“ verbirgt.

Informationen über das neue Kursangebot erteilt die VHS, Schanzenstraße 75–77, 3504-2752 oder Fax 3504-2788. Anmelden können sich Interessierte im Stadtbereich Nord unter291077, im Stadtbereich West unter 890591–0 und im Stadtbereich Mitte unter3504-2752.

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