: Knigge für die Staatsanwaltschaft
■ Ein Amtsrichter kämpft bislang vergeblich für höflichere Umgangsformen vor Gericht
Reutlingen (taz) – Angeklagte, die das Glück hatten, von dem Reutlinger Amtsrichter Jürgen Dubbers verurteilt worden zu sein, schwärmen noch heute. Sehr höflich sei der Richter zu ihnen gewesen und absolut korrekt. Das ist vor den deutschen Schranken der Justiz in der Regel nicht der Fall.
Dort herrschen im allgemeinen Umgangsformen, die mitteleuropäischen Gepflogenheiten widersprechen. Beschuldigte und Zeugen werden in Anklageschriften nicht mit der Anrede „Herr“ oder „Frau“ und ihrem Namen genannt, sondern tauchen immer nur als „der Angeklagte“ auf. Strafbefehle lassen die höfliche Anrede vermissen, ganz zu schweigen von einem freundlichen Gruß.
Manche deutschen Staatsanwälte behandelten die Beschuldigten „eher wie Untertanen statt wie Bürger“, klagt Amtsrichter Dubbers. Wie es richtig geht, macht Richter Jürgen Dubbers schon seit Jahren vor: Bei seinen Verhandlungen steht ein selbstgemaltes Schild mit seinem Namen auf dem Tisch. So weiß jeder Angeklagte, von wem er verurteilt wurde. Doch sein freundliches Vorbild fand bislang kaum Nachahmer. Dubbers kämpft jetzt auf dem Dienstweg für mehr Umgangsstil an deutschen Gerichten. Der höfliche Richter schickte einen Strafbefehl, adressiert vom Staatsanwalt „an den Sowieso“, postwendend an die Behörde zurück und weigerte sich, seine Unterschrift darunterzusetzen. Erst solle der Staatsanwalt das Schreiben um die üblichen Höflichkeitsformeln erweitern.
Mehrfach pendelte der Strafbefehl zwischen der Tübinger Staatsanwaltschaft und dem Reutlinger Amtsgericht hin und her, ohne daß dem Wunsch des Richters entsprochen wurde. Dazu stehe in der Prozeßordnung nichts geschrieben, verteidigte sich der Staatsanwalt, und wenn der Richter unbedingt wolle, so solle er eben die Grußformeln selbst darunterschreiben. Erbost schrieb Dubbers dem zuständigen Staatsanwalt Rolf Kindsvater zurück: „Kindsvater, wenn Sie mögen, können Sie dieses Schreiben und die Anrede ,Herr‘ sogar um ,sehr geehrter Herr‘ ergänzen.“
Der Streit um den guten Ton vor Gericht dauert nun schon Monate, und er wird nicht nur von der Lokalzeitung, dem Schwäbischen Tagblatt, aufs genauste verfolgt. So erfuhren jetzt auch die Leser der Gefangenenzeitschrift Inside unter der Überschrift „Ein höflicher Richter“ von der Auseinandersetzung, die demnächst den Europäischen Gerichtshof beschäftigen wird. Dubbers will nämlich seinen sturen Kollegen notfalls per Gerichtsbeschluß bessere Manieren beibringen. Aus diesem Grund hat er dem Gericht in Straßburg einen Fall zur Entscheidung vorgelegt, den er für diskriminierend hält: Die Tübinger Staatsanwaltschaft hatte einem Italiener wieder einmal die Anrede „Herr“ verweigert, obwohl auch dessen Anwalt auf einer korrekten Anrede bestanden hatte.
Bis zur Klärung dieser Frage ist das Verfahren gegen „den Beschuldigten“ ausgesetzt, ein Umstand, der die Staatsanwälte besonders ärgert. Doch um des lieben Rechtsfriedens willen wollen sie dem hartnäckigen Amtsrichter Dubbers nicht nachgeben. Der Chef der Tübinger Staatsanwaltschaft, Hans Ellinger, lästerte gar, Dubbers solle doch dann gefälligst seine Urteile „mit freundlichen Grüßen“ garnieren. Philipp Maußhardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen