■ Die Sekretärin als Herrscherin: Eine Festschrift für Frau Greiner
Mein heutiges Aufsatzthema lautet: Schaffe ein Denkmal für Frau Greiner! Es soll ein Denkmal werden für alle Frauen Greiners dieser Welt. Sie sitzen in den Verwaltungen öffentlicher Bibliotheken, in den Kontoren kleiner Handwerksbetriebe und in der Buchhaltung von Fischkonservenfabriken. Sie sitzen überall, wo ein kleines Reich darauf wartet, beherrscht zu werden.
Meine Frau Greiner war Sekretärin in einem Institut, das sich die Erforschung von Kriegsursachen auf die Fahnen geschrieben hatte. Tatsächlich war sie natürlich nicht nur die Sekretärin – sie war der heimliche Boß. Sie gehörte zu diesen Personen, die man einfach lieben muß. Liebte man sie nämlich nicht, merkte sie das sofort, und schon hatte man überhaupt nichts mehr zu lachen. Trafen die Herren Wissenschaftler Entscheidungen, die ihr nicht paßten, fand sie Mittel und Wege, diese zu torpedieren. Urplötzlich ging alles schief, was überhaupt nur schiefgehen konnte: Handgeschriebene Manuskripte verschwanden, bevor sie vervielfältigt worden waren; brandwichtige Anträge auf Fördermittel gingen auf dem Postweg verloren; und der Kaffee roch verdächtig nach Rizinusöl.
Uns studentischen Hilfskräften hinwiederum pflegte Frau Greiner mit der Lohnsteuerkarte zu winken, wenn sie sich schlecht behandelt fühlte. Wir wußten, was das bedeutete. Deshalb liebten wir sie. Vorsichtshalber.
Zur Belohnung liebte Frau Greiner auch uns. Aufopferungsvoll versuchte sie, unserer Bildung auf die Sprünge zu helfen, indem sie uns täglich vorbetete, die FAZ sei die beste Zeitung der Welt. Wenn wir fragten, warum die FAZ denn so eine prima Zeitung sei, las sie uns zur Begründung einen Bericht über den stagnierenden Umsatz eines mittelständischen Wasserpumpenherstellers aus dem Wirtschaftsteil vor und sagte: „Das muß man wissen, wenn man mitreden will.“ Gern sagte sie auch: „Kinder, ihr wißt doch, wie schädlich das Rauchen ist“, und ich glaube, es hätte ihr gut gefallen, wenn wir geantwortet hätten: „Ja, Mutter, du hast ja recht.“
Bisweilen allerdings mußten wir auch für sie den Kopf hinhalten. Vielleicht war das die Gegenleistung, die sie für ihre Fürsorge erwartete. Trotz aller FAZ-Lektüre hatte Frau Greiner nämlich ein einigermaßen gespanntes Verhältnis zu Fremdwörtern. Statt „Subsumtion“ tippte sie bei der Maschinenabschrift gern eine „Subtraktion“ in die Aufsätze der Forschungsheinis; wenn einer „interpolieren“ wollte, ließ sie ihn „interpretieren“, und ihr größter Coup war wohl die Europäisierung Tansanias, das in einer ihrer Abschriften Transsylvanien hieß. Wenn ihr die Fehler vorgehalten wurden, schwor sie indessen tausend Eide, daß einer von uns den Text in die Maschine geklappert hätte, und uns blieb nichts, als schuldbewußt den Kopf zu senken. Denn Widerspruch war nicht drin.
Ein gutes Ende hat es mit Frau Greiner trotzdem nicht genommen. Als eines Tages ein neuer Institutsleiter berufen wurde, war es mit ihrer Herrlichkeit ruck, zuck vorbei. Zwei Wochen lang sah er sich ihre Sperenzchen nachdenklich an, dann überreichte er ihr das Kündigungsschreiben. Es fiel ihm so leicht, sie loszuwerden, daß noch heute alle von einem Wunder reden. Joachim Schulz
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