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Fünf Jahre haben Justizstellen in Belgien die Ermittlungen im Mordfall Cools behindert. Jetzt, mit der Wut der Öffentlichkeit über die Kinderschänder im Rücken, gehen Polizisten und Staatsanwälte gegen ihre Vorgesetzten vor Aus Brüssel Alois Berger

Belgier wollen nicht mehr wegschauen

Als die Polizei von Charleroi den Hauptkommissar Georges Zicot festnahm, grummelte der Verhaftete in seinen Bart, man habe soeben eine politische Bombe gezündet. Das war vor acht Tagen. Am Wochenende wurde der ehemalige wallonische Innenminister Alain Van der Biest in seinem Haus in Grace-Hollonge festgenommen. Er wird beschuldigt, 1991 den Mord an seinem Parteichef, dem Sozialisten André Cools, organisiert zu haben.

Der Vorwurf ist nicht neu. Van der Biest geriet 1992 schon einmal ins Fadenkreuz der Ermittler, das Verfahren wurde aber aus Mangel an Beweisen wieder eingestellt. Jetzt sind Beweise aufgetaucht, die man auch 1992 schon hätte finden können. Die Polizei hat dieselben Verdächtigen festgenommen wie damals, doch damals haben sie geschwiegen. Jetzt haben sie Teilgeständnisse abgelegt. Domenico Castellino gab sogar zu, die Tatwaffe, eine Pistole des Kalibers 7,65, in Lüttich in einen Kanal geworfen zu haben. Dort wurde sie von der Polizei mittlerweile auch gefunden.

Vielleicht liegt es daran, daß der Chef der Sondereinheit „Cools“ nicht mehr dabei war. Hauptkommissar Raymond Brose trat kurz nach der Verhaftung von Van der Biest von seinem Amt zurück. Vorausgegangen war eine regelrechte Revolte in der Sondereinheit, die ein seltsames Licht auf die ganze Sache wirft. Brose soll seine Leute jahrelang regelrecht davon abgehalten haben, die Sache zu verfolgen. Schon 1992 hatte er einen Brief von einem italienischstämmigen Belgier namens Carlo Toderello bekommen, in dem dieser den Mann seiner Nichte, Richard Taxquet, des Mordes an Cools beschuldigt. Taxquet war damals Privatsekretär des Ministers Van der Biest, der just zu jener Zeit zunehmend Schwierigkeiten mit seinem politischen Ziehvater Cools hatte. Toderello, der selbst immer wieder Probleme mit der Polizei hatte, nannte auch die Namen der Beteiligten. Ein Di Mauro kam darin vor und eben auch Domenico Castillino, der zwei Killer aus seinem Heimatdorf in Sizilien angeheuert und sie nach dem Mord selbst wieder nach Italien zurückgebracht haben soll.

In Grace-Hollonge sind Verbindungen nach Italien nichts Ungewöhnliches. Der halbe Ort stammt von italienischen Einwanderern ab, die vor Generationen Arbeit in den belgischen Bergwerken gefunden hatten. Ungewöhnlich ist nur, daß es gerade die zwielichtigeren unter den Italienern waren, die im Büro des Ministers Van der Biest als Mitarbeiter ein- und ausgingen.

Als sich 1993 der Verdacht erhärtete, daß ein großangelegter Wertpapierdiebstahl vom Ministertelefon aus organisiert worden war, mußte Van der Biest zurücktreten. Doch der Fall wurde nie aufgeklärt. Der Staatsanwalt von NeufchÛteau, Michel Bourlet, war einmal sogar ganz nahe dran, doch dann wurde ihm der Fall von seinen Vorgesetzten abgenommen und der Staatsanwaltschaft in Lüttich übertragen.

Über die Motive von Van der Biest sind bisher nur Spekulationen möglich. Sicher ist, daß ihn sein Ziehvater Cools fallenlassen wollte, manche sagen, weil Van der Biest zu oft betrunken war. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß es Streit um das „System Cools“ gegeben hat, mit dem der Sozialistenchef die Parteikasse füllte. Van der Biest selbst erzählte mehrfach, Cools habe ihn angehalten, als Minister bei öffentlichen Aufträgen darauf zu drängen, daß die begünstigten Unternehmen auch an die Parteikasse der regierenden Sozialisten denken müßten. Kurz vor Cools Ermordung hatte es damit Schwierigkeiten gegeben. Die italienische Rüstungsfirma Agusta hatte für einen Auftrag der belgischen Armee den Parteien der für die Auftragsvergabe zuständigen Minister eine größere Summe zugesagt. Bei den flämischen Sozialisten im Norden des Landes gingen ordnungsgemäß 2,5 Millionen Mark ein. Doch bei den wallonischen Sozialisten landeten nur 700.000 Mark in bar, der Rest in Wertpapieren. Vermutlich hat die Gruppe um Taxquet das Geld eingesteckt und dafür der Partei die gestohlenen Wertpapiere gegeben. Cools soll deshalb getobt haben. Wenn das Geld nicht in drei Monaten da sei, so soll er gedroht haben, werde er die ganze Sache auffliegen lassen. Vier Wochen später lag der damals 63jährige erschossen vor dem Haus seiner Freundin in Lüttich.

Hauptkommissar Raymond Brose hat diese Spur 1992 verworfen. Den Brief von Tonderello, in dem Taxquet beschuldigt wird, schickte er an Taxquet, mit dem er freundschaftlich verbunden ist. Doch seine Mitarbeiter haben weiter recherchiert – ohne Wissen ihres Chefs. Sie sind im Juni diesen Jahres nach Italien gereist und haben dort Zeugen befragt. Mit deren Aussagen konfrontiert, haben die erneut festgenommenen Verdächtigen jetzt Teilgeständnisse abgelegt.

Noch liegt vieles im dunkeln. Vor allem die Frage ist noch zu klären, welche Stellen in der belgischen Justiz die Ermittlungen über Jahre behindert haben. An diesem Punkt – und nur an diesem Punkt – berühren sich die Affäre Cools und die Horrorgeschichte von den belgischen Kinderschändern. Hauptkommissar Georges Zicot, der mit der politischen Bombe drohte, sitzt im Gefängnis, weil er jahrelang den Autoschieberclan um Marc Dutroux gedeckt hat. Er hat Dutroux auch dann noch über alle Ermittlungen der Kriminalpolizei auf dem laufenden gehalten, als es längst nicht mehr nur um Autodiebstähle ging, als Dutroux längst im Verdacht stand, Mädchen entführt und für Pornovideos mißbraucht zu haben.

Die Empörung über die offensichtlichen Verstrickungen von Polizisten, Justizbeamten und Politikern in die Verbrechen an den Kindern hat das gesellschaftliche Klima in Belgien verändert (siehe Interview). Solange die Skandale sich in den oberen Bereichen der Politik abspielten, schauten die meisten Belgier nur angewidert zur Seite – Motto: Da kann man sowieso nichts machen. Doch seit klar ist, daß die mafiosen Verwicklungen soweit gehen, daß Polizei und Justiz nicht einmal mehr in der Lage sind, die Kinder zu schützen, fordert die Bevölkerung Aufklärung.

Erst jetzt, mit dem Wut der Öffentlichkeit im Rücken, trauen sich die Polizisten und Staatsanwälte, gegen ihre Vorgesetzten vorzugehen. Das politische Erdbeben hat gerade erst angefangen.

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