: Von und für Onkel Hans
Reisevideos haben einen festen Platz im Buchhandel. Landeskundliches ist nur spärlich zu finden, die meisten zeichnet rührende Ahnungslosigkeit aus. Eine Marktanalyse ■ Von Thomas Pampuch
„Wir erobern für Sie die Welt und legen sie Ihnen zu Füßen.“ Klingt ganz schön anmaßend, was die National Geographic Society in den fast zwölf Minuten Werbung für Einzeltitel ihres Videoprogramms da ankündigt, bevor der eigentliche Film – „Die Wolga – Seele Rußlands“ – anläuft. Immerhin, was dann kommt, ist gut recherchiert, schön gefilmt und alles in allem eine gelungene Reportage über den Wandel, der sich an Rußlands Lebensstrom in den letzten Jahren abgespielt hat. Einsichten in die Lebensbedingungen, Historisches, Kulturelles, Soziales – wer bisher nichts über Mütterchen Wolga und die Menschen an ihren Ufern wußte, hat nach den 90 Minuten Video einen gehörigen Einblick über ein wichtiges Stück europäischer Geographie.
Das National-Geographic-Video über die Wolga ist sicher kein typisches Beispiel für ein Reisevideo. Aber es zeigt, daß und wie Videos helfen können, eine Reise sinnvoll vorzubereiten: indem sie einem die Möglichkeit bieten, hinter die Kulissen eines Landes oder einer Region schauen.
Die große Masse der Reisevideos hat mit solchen (zugegeben aufwendigen) Dokumentationen nichts am Hut. An die 40 Millionen Markt setzen Reisevideos pro Jahr um. Das sind zwar nur ein paar Prozent des gesamten Videomarktes, aber beim sogenannten „Special interest“-Segment (das nach Spiel- Kinder- und Musikfilmen etwa zehn Prozent ausmacht) beschäftigen sich rund ein Drittel der Videos mit der großen, weiten und bunten Welt des Reisens. Wie unterschiedlich das Niveau ist, signalisieren schon die Preise, die von 14,95 (Aldi) bis 99,80 Mark (135 Minuten „USA Highlights“ bei Golden Globe) reichen. „Viel Schrott ist verschwunden“, stellte Anfang 95 der „Buchreport“ fest. Doch wie bei den gedruckten Reiseführern kann man auch bei den Videos immer noch die tollsten Beispiele rührender Ahnungslosigkeit finden. Immerhin haben die Markenvideos ihre Programme inzwischen etwas durchgebürstet, was wohl auch mit der zunehmenden Konkurrenz auf dem Markt zu tun hat.
Fünf „Große“ teilen sich den Reisevideomarkt im wesentlichen auf: Die Münchner Bavarian Video und Komplett-Video, deren Besitzer früher einmal zusamengearbeitet haben, gehören zu den Pionieren der Branche und bieten 250 bzw. 125 Reiseziele in aller Welt an. Peter Kitt von Bavarian begann in den 80er Jahren, eigene Taucherfilme zu produzieren, und auch heute noch spielt ein beträchtlicher Teil seiner Videos unter Wasser. Seine „Welt auf Video“ (je nach Dauer zwischen 40 und 80 Mark) bietet typische Touristenfilme, handwerklich sauber und ohne viel Anspruch. Es ist, als habe einer bei einer gut organisierten Studienreise immer schön draufgehalten, wenn der Reiseleiter wo hingezeigt hat. Das geht nicht in die Tiefe und bietet an Hintergrund nicht mehr, als in jedem Reiseführer steht, es bebildert aber ziemlich genau das, was ein Pauschaltourist in Peru, in Rothenburg oder auf Mauritius an „Highlights“ zu sehen bekommt. Herbert Lenz von Komplett geht bei seinen Reisevideos einen etwas impressionistischeren Weg: „Nicht der Anspruch des Reiseführers steht im Vordergrund, sondern der des einfühlsamen Hinführens, der opulenten Bilder, des Gefühls, mitten im Geschehen zu sein. Das kann der Film – manchmal – besser als das Buch“, kennzeichnet Lenz sein Programm und hat nebenbei – wie Bavarian – auch die etwas sorgfältiger gemachte, teurere Golden- Globe-Edition im Programm.
Für DuMont in Köln sind Reisevideos nur ein kleiner Teil seines umfangreichen Kunst- und Reiseführerprogramms. Nachdem man anfangs vor allem von den Fernsehanstalten Lizenzproduktion gekauft hatte, begann man 1991 mit eigenen Videoreiseführern und hat inzwischen von Ägypten bis Zypern weit über 100 Länder, Städte und Regionen im Programm, die zwischen 40 und 50 Mark kosten. Seit kurzem gibt es auch noch 18 Weltstädte in 30minütigen „Kompakt-Videos“ zu jeweils 24,80.
DuMont bietet echte Autorenfilme, die zwar naturgemäß unterschiedlich ausfallen, aber doch ein gewisses Niveau (soweit das Stichproben ergeben haben) nicht unterschreiten. Kultur oder auch mal Natur stehen im Vordergrund, Landeskundliches oder gar Politisch-Soziales wird meistens nur en passant erwähnt. Da schlägt die eher schöngeistige, kunstbeflissene Politik des Hauses ganz aufs Magnetband durch.
Bei Falken bekommt man für den Standardpreis von 39,90 derzeit etwa 50 relativ professionell und übersichtlich gemachte 60-Minüter nebst einem in die Kassette eingelegten, kleinen Pocketreiseführer, den man sich mitnehmen kann, wenn einem das Video genug Lust gemacht hat, das Reiseziel persönlich in Augenschein zu nehmen. Denn vielmehr als Appetit vermögen „die schönsten Bilder von den schönsten Reisezielen“ (Falken-Werbung) einem auch nicht zu vermitteln. Dazu bleiben sie denn doch zu sehr an der Oberfläche des hurtigen Abhakens der Highlights.
Daß Neugierigwerden der eigentliche Sinn der meisten Reisevideos ist, merkt man spätestens, wenn man sich die 08/15-Produktionen der Atlantis Reisevideos anschaut. Da sind die Höhepunkte von über 100 „Traumzielen der Welt“ für 29 Mark jeweils eine halbe Stunde lang ziemlich lieblos aneinandergeklebt. Doch selbst sie können noch Lust aufs Reisen machen. Wenn Onkel Hans seine Dias oder sein schrecklich wackliges Homevideo über seine letzte Reise zeigt, springt ja manchmal auch ein Globetrotterfunke über.
Da nämlich liegt's. Um Lust aufs Reisen zu kriegen, braucht es manchmal nicht viel, kann auch Zusammengestoppeltes genügen. Und hinterher können dann Leute wie Onkel Hans die eigenen miesen Aufnahmen durch Kopieren etwas aufmöbeln – ohne daß es jemand merkt.
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