piwik no script img

■ Normalzeit„Wüste Westberlin“

So hieß ein SFB-Berlinale- Beitrag über die alten Jungen Wilden der Paris-Bar. „Wir haben Berlin an den Weltkunstmarkt angeschlossen“, sagt darin zum Beispiel der Maler Lüpertz. Globalisierung also auch damals schon. Seit dem Ende des mit der Wiedervereinigung verbundenen Nachfragebooms kommt es nun aber ganz dicke mit der Wüstenmetapher: Erst die „Wüste-Service“-Geschichte von Focus und nun ein Wirtschaftswochen-Aufmacher: „Standort Berlin“, für dessen Titelbild der Graphiker das Brandenburger Tor in die Sahara stellte.

Es geht darin um die Abwanderung der Westberliner und um die Abwicklung der meisten Ostberliner Großbetriebe sowie um die Zerschlagung der AEG, deren Hauptsitz-Zurückverlagerung nach Berlin noch Edzard Reuter vor seinem „Integrierten Technologiekonzern“-Desaster versprochen hatte. Auch bei den noch existierenden kleineren Betrieben kriselt es, nicht zu reden von den Immobilienentwicklern, die nur noch auf die statische Schläue der Banken spekulieren. Wobei bereits absehbar ist, daß nach einigen Jahren Leerstand der postmoderne Zierat ebenso vergammelt wie aus der Mode gekommen sein wird.

Aber das ist das Schöne an diesen Betonverkleidungen aus Metall, Glas, Marmor und Plastik: daß man sie immer schneller und leichter auswechseln kann und zum Beispiel über Nacht aus türkisfarbenen Dienstleistungscentern Original-Schwarzwaldhäuser machen kann. So was hat Tradition in Berlin – schon in der Gründerzeit pflegten die Poliere zu sagen: „Das Haus ist fertig, Herr Architekt. Was soll nun für'n Stil ran?“

Problematischer ist jedoch mittlerweile die Nutzung: „Der Stadt fehlen Unternehmer“, meint der Verein Berliner Kaufleute laut Wirtschaftswoche. Eine andere Hiobsbotschaft ihres Wüstenartikels: „80 Prozent Leerstand“ im Lafayette-Galerie- Glasbug, korrigierten die dort eingemieteten Makler sofort mit einer Pressekonferenz: Es steht weit weniger Büroraum leer. Über die in der Qantität strittige Belegung hinaus meinte Wolf- Jobst Siedler in der Wirtschaftswoche jedoch – kassandramäßig: „In der Hauptstadt fokussiert sich die intellektuelle Verarmung Deutschlands.“ Und fettgedruckt hieß es daneben: „Berlin führt die Rangliste beim Krankenstand an.“

Bei solcherart Ranking dürfte die Herdersche Buchhandlung derzeit vorne liegen: Dort sind gerade die Kündigungen rausgegangen, im Frühjahr übernimmt Hugendubel den leeren Laden. Es geht der Wirtschaftswoche jedoch nicht um sozialverträglicheres Mobbing, sondern eher um flankierende Maßnahmen zur Ablösung der ganzen als gescheitert eingeschätzten Politikklasse Westberlins durch die immer noch wendeaufgedrallten CDU- und SPD-Männer aus Bonn: um die Berliner Verbonnung also, mit Schönhuber und Töpfer als Speerspitze vielleicht: „Was wir brauchen, ist die richtige Besetzung“ (Siedler). Das dicke Ende kommt also erst noch.

Auch wenn man schwerlich diese versuchte Ausdehnung des „Ku'damm-Generalübernehmer- Konzepts“ der alten Westberlin- Politik auf ganz Berlin an Phantasielosigkeit unterbieten kann. Schon warnt man aus Bonn, sich hier nicht allein auf den Regierungsumzug zu verlassen: Berlin muß es aus sich selbst heraus schaffen – bevor zum Beispiel immer mehr Fachkräfte abwandern, auswandern gar. Es fehlt dazu jedoch entschieden an Unerheblichkeit – um anders denn in Daimler-Benz-, Olympia- und Hauptstadt-Kategorien zu denken: „In Wirklichkeit sind wir eine ,reine, gut deutsche‘ Gesellschaft mit einem deutschen sozialen und kulturellen Erbe“, hatte Walter Momper – als Regiermeister noch – betont, als ihn der US- Journalist Joel Kotkin auf den hohen Ausländeranteil in der Stadt ansprach. Dabei ist dies genau das Problem: daß der Deutschen-Anteil hier zum Beispiel immer noch zu hoch ist – oder um es mit den Worten des New-York-Wirtschaftsexperten George Sternlieb zu sagen: „Es gibt kein Problem in New York, das eine Million Chinesen nicht lösen könnten!“ Helmut Höge

wird fortgesetzt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen