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■ Eine kleine Phänomenologie unliebsamen BesuchsVon Landplagen und Nervensägen

„Besuch zu haben ist famos, besondern wenn man ihn wieder los“, pflegt der Böhmermensch zu dichten; und wer dermaßen extraordinäre Knedln herzustellen vermag, der kann auch mit seinen Sprichwörtern so falsch nicht liegen.

Man denke zum Beispiel an Jonathan. Er ist einer von diesen alten Freunden, mit denen man schon in der Sandkiste nach Piratenschätzen gebuddelt hat. Seit über zehn Jahren wohnt man in verschiedenen Städten, und eigentlich kann von „alter Freund“ längst nicht mehr die Rede sein. Wie schön, wenn man souverän genug gewesen wäre, sich im Alter von 20 Lenzen einverständig und nüchtern „Lebwohl!“ zu sagen. Man wäre auf den Rest seiner Tage mit ein paar ungetrübten Piratenschatzerinnerungen versorgt gewesen, hätte in seiner Biographie notieren können: „1967 – 2. 2. 1984: Freundschaft mit Jonathan, der rechten Hand des alten John Silver“, und hätte ewig und drei Tage stolz sein können auf diesen übermenschlichen Akt.

Aber es ist anders gekommen. Allem Anschein nach ist Jonathan durchaus der Meinung, daß eine Sandkistenfreundschaft ein ganzes Leben lang halten muß, und deshalb beglückt er seinen alten Spießgesellen mindestens einmal im Jahr mit seiner Anwesenheit. Noch unten in der Haustür stehend, trompetet er sein „Weißt du noch...“ durch den Flur. „Weiß du noch, wie wir die Treppe von der Bahnüberführung koppheister hinuntergerauscht sind, weil die Buttelmann-Bande dort Glasmurmeln ausgelegt hatte?“ Hoho, wat hebbt wie grölt! Drei Tage lang produziert er einen nicht enden wollenden Strom von Döntjes aus der gemeinsamen Kindheit, und eigentlich lassen sich seine Stippvisiten nur in einem alkoholisch bedingten Zustand schwerer Gehirnerweichung überleben, den man ein ganzes Wochenende lang auf einem stabilen Niveau halten muß.

Dann gibt es noch solche wie Piet, der mit seinen Anverwandten gleichfalls einmal übel im Böhmerland gehaust haben muß. Piet liebt es, mit seinem Gastgeber durch die Straßen der Stadt zu streifen, was er allerdings nicht deshalb tut, weil er etwas kennenlernen will. Denn wegen des dauernden Durchdiegegendflanierens kennt Piet längst alles, und genau das ist seine Lust: Wenn wir hier abbiegen, dann... Um die nächste Ecke ist doch das Haus, wo... War hier nicht die Kneipe, in der...? Der Mann ist eine phänomenale Gedächtnismaschine und Nervensäge!

Rita hinwiederum bringt es fertig, den besten Freunden ihres Wirtes ein süßlich dahingelächeltes „Du bist aber unsympathisch!“ entgegenzuzischen, und Friedo verfolgt die Frauen aus dem Bekanntenkreis seines Gastgebers so lange mit Zudringlichkeiten, die er sich zu Hause niemals trauen würde, bis einem die derart Ungarnten die Freundschaft aufkündigen oder ihre zweckdienlich zugespitzten Fingernägel ins Handgelenk bohren.

Und was mache ich nun mit den guten Freunden? Denjenigen, die man mit offenen Armen und einem gut gekühlten Kasten Bier zu empfangen pflegt? Die man tränenreich verabschiedet und nicht eher ziehen läßt, bis die nächste Visite beschlossene Sache ist? Nun ja, ich werde sie wohl um Willen der Triftigkeit böhmischer Merksprüche verschweigen müssen. Schade. Joachim Schulz

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