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■ StandbildRührende Biederkeit

„Polizeiruf 110: Der schlanke Tod“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

Sie würde ja gehen, sagt Ruth mit tränenwackeliger Stimme. Auch für immer, jetzt sofort und erst recht, wo doch ihr Lebensgefährte Dr. Merten auf seinem Einweihungsfest mit einer Ärztekollegin herumbalzt. Aber, Ruth schluchzt, sie sei nicht mit dem Auto da. „Daran soll's nicht liegen“, meint der fleischerhakenkalte Doktor und wedelt mit seinen Mercedes-Schlüsseln.

Ein paar Kilometer weg von diesem unseligen Ort: ein Kiosk. Der Zeitungsverkäufer telefoniert gerade, da rollt das Schicksal ungebremst heran. Irgendwer hat die Bremsleitungen durchtrennt, und so findet die Verschmähte zwischen Praline und Spiegel den Tod.

„Polizeiruf 110: Der schlanke Tod“ unter der Regie von Thomas Jacob beginnt mit der rührenden Biederkeit wie all jene bürgerlichen TV-Trauerspiele, in denen sich der banale Alltag zu kathartischem Unglück aufbläht: Kaum ist die lästige Liebende verschieden, tobt auf Mertens Party Sodom und Gommorrha. Ruths Tod nehmen die Gäste mit derselben Aufregung hin, mit der sie den Tellersturz eines Lachshäppchens kommentieren, und der Doktor knutscht gar noch weiter mit seiner Neuen herum.

Kommisssar Schmücke (Jaecki Schnwarz), nach eigenen Angaben eher Opern- als Brechtfreund, inspiziert das Szenario wie ein Revisor, der den Bestand einer verrohten Schicht kühl und mit einer gewissen Genugtuung zu Protokoll nimmt. Je deutlicher ihm schwant, daß sich Merten an der Erfindung eines Kollegen, einem krankmachenden Wundermittel gegen Fettleibigkeit, bereichert, desto mehr blitzt schiere Gehässigkeit durch Schmückes Rede. Am Ende war zwar nicht der weißbekittelte Schurke der Mörder, sondern, wie es sich für eine Tragödie gehört, der Sohn der Toten, der natürlich hoffte, dem gehaßten Liebhaber der Mutter mit der Bremsensabotage ein schnelles Ende zu bereiten.

Aber der Anblick eines derangierten Dr. Merten ist Schmücke allemal ein Fest und Bestätigung der eigenen, gerechten Existenz. „Laß uns gehen, sonst hau' ich ihm noch eine rein“, sagt er wenig bedrohlich zu seinem Kollegen. Doch jemanden, auf dessen Seele außer einem öden Bildungskomplex nur ein Bücherklau (Karl May „Unter Geiern“) als Minderjähriger lastet, dem trauen wir eine derart unzivilisierte Reaktion sowieso nicht zu. Birgit Glombitza

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