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Who the fuck is Schengen?

Der Druck auf die niederländische Drogenpolitik steigt, seit in der EU die Grenzen offen sind. Nur Frankreich macht dicht wegen Dope  ■ Von Jeannette Goddar

Frank Bakker ist 30 Jahre und selbständig: Auf der Menükarte seines Coffeeshops in der Nähe des Amsterdamer Hauptbahnhofs gibt es knapp zwanzig Sorten Haschisch und Marihuana im Angebot – für sieben bis zwanzig Gulden pro Gramm. Das Gras mit dem höchsten THC-Gehalt (20 bis 35 Prozent) – „Superskunk“ –, das aus einer in den achtziger Jahren aus den USA importierten Samenmischung gewonnen wird, züchtet er zum Teil zu Hause in einem Hinterzimmer. Frank Bakker geht regelmäßig zur Arbeit, versteuert seine Einnahmen, ärgert sich über Junkies vor der Haustür und ruft auch schon mal die Polizei.

Und an ihm scheiden sich die Geister zweier Nachbarstaaten: Für den Franzosen Jacques Chirac ist er ein krimineller Dealer und Handlanger der Drogenmafia, den er in seinem eigenen Land schleunigst ins Kittchen schaffen würde. Für seinen Amtskollegen, den niederländischen Premier Wim Kok hingegen, ist Bakker ein anständiger Geschäftsmann und aktiver Helfer bei der Verwirklichung des Ziels, Kiffer und Junkies voneinander zu trennen.

Und weil Kok das so sieht, weigert sich Frankreich beständig, das Schengener Abkommen umzusetzen und die Grenzen zu öffnen. „Keine Kompromisse“, tönt Chirac bei jeder sich bietenden Gelegenheit und läßt auch schon einmal – wie im März geschehen – ein EU- Gipfeltreffen zu Drogen in Den Haag platzen, wofür Kok ihn als „besessen“ beschimpft. Mit Chirac könne man in einem vernünftigen Ton nicht reden.

An gelbe Karten für ihren vermeintlich laxen Umgang mit Drogen sind die Niederländer gewöhnt, seit in den 70er Jahren über tausend Junkies, LSD-Hippies und notorische Kiffer auf dem schattigen „Zeedijk“ nahe dem Hauptbahnhof campierten. Seit Anfang dieses Jahres werden die Töne jedoch schärfer: „Nicht die terroristischen Bombenanschläge, sondern der unaufhaltsame Strom von Drogen, mit denen die Niederlande ihre Nachbarn bedrohen, waren im vegangenen Sommer für Frankreich der Grund, seine Grenzkontrollen zu verschärfen.“ So stand es in dem Drogenbericht über den „Narco-Staat“ Niederlande geschrieben, den der neogaullistische französische Parlamentier Paul Masson den Kollegen in Den Haag auf den Tisch knallte – ein halbes Jahr, nachdem ein Anschlag auf die Pariser U-Bahn das gesamte Land in Schock versetzt hatte, und pünktlich an dem Tag, an dem das niederländische Abgeordnetenhaus eine Parlamentsdebatte über eine neue Drogenrichtlinie begann. Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Eduard Lintner (CSU) stimmte ein: „Die niederländische Politik verstärkt unser eigenes Drogenproblem.“

Stützen können sich die Franzosen auch noch auf einen Drogenbericht, den die Vereinten Nationen vorlegten: In 23 Punkten werden die Niederländer dort kritisiert – unter anderem für den wesentlichsten Grundsatz ihrer Politik: für die Unterscheidung von harten und weichen Drogen. Wer die Märkte für Heroin, Kokain und Amphetamine auf der einen und Haschisch und Marihuana auf der anderen Seite trenne, so der Den Haager Standpunkt, trenne auch die Konsumenten und verhindere ein Abdriften von Hunderttausenden in die Kriminalität. Weitere Kritikpunkte der UN: Die massenhafte Produktion von Cannabis sowie die zunehmende Herstellung von Amphetaminen.

Dabei wußte man in Den Haag schon vor der Schelte aus Genf und Paris, daß es so nicht weitergeht: Der Drogentourismus aus den Nachbarländern terrorisiert seit Jahren die grenznahen Gebiete. In kleinen Städten wie Venlo, Heerlen oder Arnhem sind die Anwohner bereits vor Jahren auf die Barrikaden gegangen: Zum Teil in militanter Selbsthilfe haben sie den deutschen, belgischen und französischen Kiffern, die Wochenende für Wochenende die Marktplätze belagerten und ihre legalen Joints zelebrierten, den Garaus gemacht. 1994 schätzte man, daß ein Drittel aller Coffeeshops in unmittelbarer Nähe zur Grenze lägen. Zahlreiche Bürgermeister haben seitdem in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft Coffeeshops geschlossen – auf Grundlage von Lärmschutzverordnungen oder Gaststättengesetzen. Anderswo wurde der Verkauf an Ausländer einfach untersagt.

Im März dieses Jahres hat das Abgeordnetenhaus eine neue Drogenrichtlinie verabschiedet, die sich wie ein Kompromiß zwischen besserem Wissen und dem Druck von außen liest: Statt 30 Gramm dürfen Coffeeshops nur noch fünf Gramm Haschisch oder Marihuana verkaufen – straffrei bleibt aber weiterhin der Besitz von bis zu 30 Gramm. Außerdem soll die Zahl der – geschätzten 2.000 – Coffeeshops halbiert werden. Mit der Neuregelung hofft man in Den Haag vor allem, der Sogwirkung ein Ende zu setzen. Die Grundprinzipien der Drogenpolitik – weiche Drogen werden toleriert; ein Drogenabhängiger ist in erster Linie krank und nicht kriminell; die Ermittlungsarbeit muß sich auf Dealer konzentrieren – will man nicht antasten. Dieser Konsens reicht bis ins Außenministerium, das traditionell wohl das größte Interesse an guten Beziehungen mit den EU-Partnern haben dürfte. Minister Hans Van Mierlo: „Wir werden unseres nicht für ein schlechteres System aufgeben.“

Nicht durchsetzen konnten sich die linksliberalen Ministerinnen für Gesundheit und Justiz, Els Borst und Winnie Sorgdrager, mit ihrem Ziel, weiche Drogen aus der Grauzone der „Tolerierung“ herauszuholen und zu legalisieren. Denn letztendlich beruht ein großer Teil der niederländischen Drogenpolitik mitnichten auf liberalen Gesetzen, sondern auf einer jahrhundertealten Tradition der Duldung. Geduldet (gedogen) wird hier fast alles, solange es den Leuten nicht zu bunt wird. Historiker führen das Prinzip auf die Geschichte eines religiös gespaltenen Landes zurück, in dem alle Gruppen immer nach einer pragmatischen und nicht nach einer ideologischen Lösung gesucht haben, um so ihr friedliches Zusammenleben nicht zu gefährden. Daran hat sich offenbar bis heute nichts geändert: Die MinisterInnen wollten vor allem den Kleinanbau von Cannabis legalisieren. Das lehnte das Parlament ab. Auch an der semilegalen Existenz der Coffeeshopbesitzer hat sich nichts geändert – sie dürfen nach wie vor nach strengen Gesichtspunkten nicht mehr als 30 Gramm besitzen – eine illusorische Vorstellung.

Doch auch die Umsetzung der Fünf-Gramm-Grenze steht noch in den Sternen. Vor allem Kommunalpolitiker protestieren gegen den Auftrag, schärfere Kontrollen durchzuführen, und weigern sich, Geld und Zeit in die Überprüfung von Coffeeshops und Kiffern zu investieren. Amsterdams Bürgermeister Schelto Patijn gab stellvertretend für viele bekannt, er habe „andere Prioritäten, als vor jedem Coffeeshop zwei Polizisten abzustellen“. Grund genug für Jacques Chirac, weiterhin zahlreiche Grenzsoldaten zu beschäftigen.

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