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Bosnier-Abschiebung nach Landessitte

■ Die Innenminister der Länder einigen sich auf die Rückführung der bosnischen Kriegsflüchtlinge schon ab dem 1. Oktober. Bundesländer können jedoch individuell entscheiden: Abschiebung in Hamburg, abwarten in Düsseldorf

Bonn (taz) – Die Bundesländer können selbst entscheiden, ob sie sich an der Abschiebung der insgesamt 320.000 bosnischen Flüchtlinge in ihre Heimat beteiligen werden. Auschlaggebend seien dabei die „Verhältnisse des jeweiligen Landes“. Dies ist das Ergebnis der gestrigen Konferenz der Innenminister aus Bund und Ländern, die Hamburgs Innensenator Hartmuth Wrocklage am Abend vorstellte. Die „Rückführung“ solle aber grundsätzlich am 1. Oktober beginnen. Zuerst würden Alleinstehende ohne Kinder, zuletzt Frauen und Kinder nach Bosnien zurückkehren.

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verwies vor Journalisten darauf, daß Deutschland 60 Prozent der Kosten für die Unterbringung der bosnischen Flüchtlinge in den westeuropäischen Ländern getragen habe. Aus dem Obdach für die Flüchtlinge dürfe kein verstecktes Einwanderungsprogramm werden. „Wer zurückkann, aber nicht geht, hat keinen Anspruch auf die volle, sondern nur auf die abgesenkte Sozialhilfe.“ Die Bedingungen für eine Rückführung nach Bosnien seinen „zu einem guten Teil“ erfüllt.

Für eine sofortige Abschiebung hat sich inzwischen der Stadtstadt Hamburg entschieden. Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein sagte, „notfalls müsse eine gewisse Zahl zwangsweise noch in diesem Jahr“ abgeschoben werden. Sein Kollege Franz-Josef Kniola meinte dagegen, Nordrhein-Westfalen werde vorerst auf Abschiebungen verzichten.

Gegen das Vorhaben der schnellen Abschiebung hatte sich in den letzten Tagen in allen Parteien verstärkt Widerstand geregt. Selbst Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) sprach sich gestern überraschend dagegen aus. Angesichts der Lage in Bosnien-Herzegowina glaube er, „daß man die Rückführung nur sehr vorsichtig und differenziert“ machen könne. Wichtig sei, daß der Wiederaufbau endlich voll in Gang komme, spätestens im nächsten Frühjahr. Zur Zeit sei diesbezüglich noch zu wenig zu sehen.

Auch Außenminister Klaus Kinkel (FDP) und der FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms hatten sich dagegen ausgesprochen, vor dem Frühling Flüchtlinge zurückzuschicken. Solms meinte, die Rückführung müsse von der Weiterentwicklung des Friedensprozesses, der wirtschaftlichen Gesundung und der Normalisierung der Lebensumstände in Bosnien abhängig gemacht werden. Sonst seien die Flüchtlinge bald wieder hier. Der SPD- Fraktionsvize Günter Verheugen lehnte einen festen Termin für die Rückkehr generell ab. Maßstab könne „nur die Humanität sein“. Nach Ansicht von Hilfsorganisationen ist es bereits ausgesprochen schwierig, die Einheimischen und die 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge über den Winter zu bringen. Markus Franz

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