Wand und Boden: Kunst als Club
■ Kunst in Berlin jetzt: Daniele Buetti, Jorge Pardo, Christian Kopac
Wie nahe rückt uns der allgegenwärtige Lifestyle? Womöglich keine unerhebliche Frage, da Lifestyle bekanntlich etwas anderes meint als persönlicher Stil. Der Schweizer Künstler Daniele Buetti jedenfalls geht ihr unter dem Titel „Instant World“ in der museumsakademie berlin nach.
Im Englischen heißen die Markennamen, die große Teile der Bausubstanz des Lifestyles ausmachen, klar und deutlich brand names. Kastrierte Bullen bekommen so was ins Fell gebrannt. An diese Tradition schließt Buetti an. Er tätowiert uns General Electric, Sony oder Sanyo unter die Haut. Als kritischer Gestus ist das läppisch. Aber Buetti gewinnt aus seinen Tattoos nicht nur Konsumkritik, sondern vor allem Bilder. Und weil es um Bilder geht, drückt er die Namen mit dem Kugelschreiber von der Rückseite in ausgesuchte fotografische Abbilder ein. Dann fotografiert er diese Bilder neu. Sie haben eine gewisse „Aggression of Beauty“, wie eine Galerieschau gleich um die Ecke heißt. Behaarte Körperfragmente sind nun also „U.S. Life“ gewidmet oder „Polaroid“. Blaß, verletzlich schimmert die Haut unter den dunklen Haarinseln, um die Brustwarzen herum und die knotigen Einstichpunkte. Models, die ihr eigenes Markenzeichen sind, werden mit Namen verschont und selbst mit mehr oder minder wilden Dekorationen zugerichtet. Das erinnert an exotisch reizvolle Schmucknarben, öfter aber an Geschwüre, Abszesse und Allergien und wenn man so will, an eine „Depression of Beauty“. Buettis künstlerische Kleiderverkaufs- und Wortfetzensammelaktionen, im Video und im Diavortrag zu betrachten, stechen tiefer.
Bis 9.11., Di-Sa 14-19 Uhr, Rosenthaler Straße 39
Jorge Pardos Vorbehalte gegen die Ästhetisierung der Alltagswelt sind möglicherweise nicht geringer als die Buettis, aber man weiß es nicht so genau. Der Kalifornier hängt Lampen in der Galerie auf, verlegt Küchenböden in der Kunsthalle und installiert ein dropsbuntes Café auf der Leipziger Messe. Er laviert auf der Grenze zwischen Alltag und Ästhetik und stellt, wie er sagt, „eine neue Poesie des Austausches her“. Doch diese Poesie ist kontaminiert. Der Austausch umfaßt nicht nur die genannten Objekte, sondern auch ihren Kontext, der jedoch merkwürdig mysteriös bleibt. Pardos parasitäre Ökonomie ist so total, daß er es sich leisten kann, Stühle von Frank Gehry in sein Café zu stellen, und trotzdem sieht das Ganze nach No Name aus. Jetzt hat er erstmals drei Bilder („johnny“, „ralph“ und „vivienne“) gemalt, von ihren Maßen (2,80x4,30m) her passend für den Schauraum von neugerriemschneider. Fünf hellgelbe, hellblaue, beige und rosafarbene Blasen driften auf der roh belassenen Leinwand. Ihre Form erinnert an die Gespenster bei Barbapapa. Mal beugen sie sich mehr nach links, mal mehr nach rechts. Die Farbe ist dünn und ein bißchen schlampig aufgetragen. „johnny“, „ralph“ und „vivienne“ wollen ein großes Publikum. Mehr noch als für die Wandmaße sind sie für die großen Schaufenster bei neugerriemschneider entworfen. Und für das grünlich-gelbe Passepartout um die Fenster, das die Galeriezone markiert. Das entwickelte Jorge Pardo zur Eröffnung der Galerie im Mai 1994. Selbst wenn er malt, er zielt auf eine imaginäre Architektur.
Bis 19.10., Di-Sa 11-18 Uhr, Goethestraße 73
Das Gänseblümchen wird buchstäblich verheizt. Es sitzt in seinem Topf an einer weißen Stange, während die Flamme des Bunsenbrenners darunter blau erstrahlt. Ohnmächtig sieht man zu, denn die Vorrichtung ist mit Glastüren abgeschlossen. Eine weitere Vorrichtung besteht aus einer Infusionspumpe, die Uhr und Klanginstrument in einem ist. Ein Motor steuert das Fallen eines Wassertropfens in einen Meßbecher, das alle 12 Sekunden erfolgt und tontechnisch verstärkt in den Raum geschallt wird. Christian Kopac hat den „Raum der betroffenen Existenzen“, den „Zeitraum“ in der aktions galerie klinisch kalt und perfekt gebaut. Durch eine „Fluchttür“ gelangt man in den Zustand: Kunst als Club. Hier darf man zeitlos glücklich werden. Nicht zuletzt weil Kopac die Sache sehr intelligent hingedreht hat: Erstens muß man für die „Flucht aus dem Zeitraum“ bezahlen und zweitens Drogen konsumieren. Zweifellos der realistischste Ansatz zu Kunst und Leben, den es seit langem zu sehen gab. Die Droge besteht im vorliegenden Fall aus dunklem Bier, das aus Großküchenschöpfkellen getrunken wird. Da man sie nicht abstellen kann wie ein Glas, ist man gezwungen, in einem fort zu trinken. Für weitere Energiezufuhr sorgt ein DJ und die Sprengmeisterin, die für eine Zeitverdichtung im Moment der Explosion sorgt. In einer eigens entwickelten Kabine sprengt sie Nahrungsmittel wie eine Schwarzwälder Kirschtorte in die Luft.
Bis 6.10., tägl. 20-2 Uhr, Große Präsidentenstraße 10 Brigitte Werneburg
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