: Nur ein Anhängsel der Gewerkschaften
■ Arbeitslose haben es schwer, mit ihren Argumenten durchzudringen / Interview mit einer ÖTV-Vertreterin
Streichung der Arbeitslosenhilfe, radikale Einschnitte in der Arbeitsförderung, Abschaffung von arbeitsmarktpolitischen Hilfen für SozialhilfeempfängerInnen. Gestern informierten Gewerkschaftsmitglieder vor dem Arbeitsamt über die Folgen des Sozialabbaus für Erwerbslose. Wir haben mit Gabriele Schmidt, Vertreterin der Erwerbslosen im Kreisvorstand der ÖTV, gesprochen.
taz: Sie engagieren sich für eine bessere Vertretung der Erwerbslosen durch die Gewerkschaften, obwohl diese sich bisher kaum als deren Lobby hervorgetan haben.
Gabriele Schmidt, Vertreterin der Erwerbslosen im Kreisvorstand der ÖTV: In der Gewerkschaftstradition haben Erwerbslose keinen richtigen Platz, weil ja das klassische Klientel die Beschäftigten sind. Aber in Zeiten, wo immer mehr Leute dauer- oder phasenhaft arbeitslos sind, müssen auch die Gewerkschaften umdenken. Viele an der Basis verstehen sich immer noch als Arbeitnehmer-Vertretung im herkömmlichen Sinn. Einige Funktionäre sind sehr aufgeschlossen, sie haben die Erwerbslosen im Blick und auch neue Arbeitszeitmodelle. Diese Diskussion an der Basis zu führen ist eher schwierig. Da gibt es eine Abwehr gegen Erwerbslose, wir sind häufig die Prügelknaben bzw. -mädchen, wenn es um Solidarpakte oder ähnliches geht.
Heißt das: Beschäftigte gegen Erwerbslose?
Es gibt bei vielen, die noch Arbeit haben, so etwas wie eine Vogel-Strauß-Politik. Die halten still und wollen nicht wahr haben, daß sie zum Beispiel durch den Fortfall des Kündigungsschutzes in Betrieben mit weniger als elf Beschäftigten ebenso betroffen sind. Außerdem werden beide Seiten durch die neuen Sparpaket-Pläne weiter gegeneinander ausgespielt. Unter anderem sollen Langzeitarbeitslose bis zu sechs Monaten in Betrieben bei eingeschränktem Arbeitsrecht arbeiten.
Und die „Zumutbarkeitsregelung“ wird nochmals verschärft.
Ja, das bedeutet, daß der Qualifizierungsschutz wegfällt. Erwerbslose sollen Billigarbeit annehmen und Nettoeinkommensbußen bis zu 50 Prozent hinnehmen. Das heißt, sich unterhalb der beruflichen Qualifikation verkaufen zu müssen. Ich würde meine eigene Berufsbiographie als Beispiel dafür sehen, daß man unter Umständen dazu bereit ist, wenn diese Arbeit wenigstens existenzsichernd ist. Nach meinem Soziologiestudium und arbeitslosen Zeiten habe ich zur Betriebswirtin umgeschult und eine Stelle als Bürofachkraft angenommen, bis nach einigen Monaten die betriebsbedingte Kündigung kam.
Wie sind Sie innerhalb der Gewerkschaft organisiert?
Es gibt Erwerbslosen-Kreise oder, wie in der ÖTV, einen Erwerbslosen-Ausschuß. Diese Gruppen existieren seit über zehn Jahren und sind mal mehr, mal weniger aktiv. Eine Stelle in Bielefeld koordiniert die Gruppen bundesweit.
Können diese Gruppen etwas bewegen?
Das ist ein schwieriges Geschäft. Es sind noch zu wenige, weil man sich als Erwerbslose ungern outet. Aber in Bremen haben wir uns in die Diskussion um den Solidarpakt eingemischt. Und innerhalb der ÖTV bin ich als Vertreterin für die Erwerbslosen im Kreisvorstand. Darüber sind wir zumindest präsent.
Präsent ja, aber auch ausreichend vertreten?
Nein. Auf Bundesebene zum Beispiel sind die Erwerbslosen nur durch ein beratendes Mitglied im Vorstand vertreten. Die Politik für Arbeitslose ist immer noch ein Anhängsel der üblichen Gewerkschaftsarbeit. Es wird immer noch – besonders an der Basis – in Schubladen gedacht: hier die Beschäftigten, dort die Erwerbslosen. Meine Hauptkritik an den Gewerkschaften: Gegen soziale Einschnitte, die die Erwerbslosen betreffen, wird nicht so laut protestiert wie zum Beispiel gegen den Sozialabbau für die Beschäftigten. Das gilt übrigens auch für die Medien.
Fragen: Beate Hofmann
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