piwik no script img

■ SchnittplatzDer Polizeireporter

Eigentlich sollte es das erste deutsche Talkradio sein. Doch weil selbst die Berliner nicht so redselig sind, wie es ihr Ruf besagt, mußte sich Newstalk auf anderes verlegen. Auf flehentliche Appelle (Ruft an!), auf die Entlassung seines ersten Programmchefs Peter Lauffer oder auf die neue Radiogattung des Mit-sich-selber-Redens. Eine Disziplin, in der es die Moderatoren von Newstalk zu einer erstaunlichen Virtuosität gebracht haben, besonders wenn sie bis tief in die Nacht stundenlang über allzu Zwischenmenschliches aus der Redaktionsstube berichten.

Das Schönste aber an Newstalk ist der Morgen danach. Dann nämlich schlägt die Stunde des Polizeireporters. Während wir uns noch den Alptraum aus den Augen reiben, kommt er schon mit den nächsten. Denn endlich darf er auf Sendung, darf endlich seine grauselige Litanei herunterbeten: darf von der hilflosen Oma erzählen, die gestern abend in Prenzlauer Berg verprügelt wurde, von den randalierenden Jugendlichen, die im selben Bezirk einen Gleichaltrigen zusammengeschlagen haben, und von dem Motorradfahrer, der soeben am Alex verunglückt ist und jetzt – man ahnt es schon – mit schwersten Kopfverletzungen im Krankenhaus liegt. Das ist starker Tobak – nicht nur am frühen Morgen.

Die Augen noch voll Schlaf, sehen wir den Polizeireporter vor uns. Bebend kauert er am Funkgerät und macht sich krakelig Notizen. Hallo, hallo – bin ich auf Sendung? Jawoll, denn hier ist Newstalk, und weil es morgens um acht noch nichts zu talken gibt, hat der Polizeireporter schon wieder das Wort: Die Oma, die gestern abend in Prenzlauer Berg verprügelt wurde, ist nach wie vor nicht vernehmungsfähig. Der Motorradfahrer, der eben gerade hier am Alex verunglückte, ist – wer hätte das gedacht – immer noch nicht tot.

Unser Tag ist trotzdem hin. Der Kaffee guckt uns düster an, das Ei bittet um seine Enthauptung, und das Radio geht uns schon länger auf die Nerven. Ein Tritt, und es ist aus. Samt Polizeireporter. Oliver Gehrs

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen