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Heute wird noch kein Bosnier abgeschoben

■ Laut UN-Flüchtlingswerk gibt es noch immer keine sicheren Gebiete im ehemaligen Kriegsgebiet. Bosnisches Staatspräsidium erstmals zusammengetreten

München (AFP/dpa/taz) – Von den rund 324.000 bosnischen Flüchtlingen in Deutschland wird am Stichtag 1. Oktober noch keiner zwangsweise in sein Heimatland abgeschoben. In Bayern und Berlin sind jedoch im Unterschied zu den übrigen Ländern die Voraussetzungen geschaffen, um mit den Abschiebungen beginnen zu können. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hatte am 19. September den Beginn der zwangsweisen Rückführung ab 1. Oktober beschlossen, den einzelnen Ländern jedoch weite Spielräume gelassen. Im Gegensatz zu Bayern und Berlin fordern andere Länder die Flüchtlinge erst jetzt zur freiwilligen Ausreise innerhalb der nächsten drei Monate auf; erst danach droht ihnen die Abschiebung. Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein sowie Thüringen schließen Abschiebungen vor dem 1. April 1997 aus.

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat davor gewarnt, mit der Abschiebung von Bosnien- Flüchtlingen zu beginnen. Die Rückkehr in gesicherte Gebiete sei derzeit nicht möglich, sagte UNHCR-Sprecherin Judith Kumin gestern in der ARD. Die vom Bundesinnenminister vorgelegte Liste von 22 sicheren Gebieten sei eine „Fehlinterpretation“. Diese Regionen seien erst nach finanziellen Hilfen in der Lage, Flüchtlinge aufzunehmen. Zudem konkurrierten die Rückkehrer mit einer Million Binnenvertriebenen, die eine Bleibe suchten. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern erwartet das UNHCR eine „Wanderung“ der Flüchtlinge durch Deutschland.

Als „unmenschliche Entscheidung“ hat auch der Vorsitzende der Gesellschaft für bedrohte Völker, Tilman Zülch, die Abschiebung bosnischer Flüchtlinge ab dem 1. Oktober bezeichnet. Mit dieser Maßnahme setzten sich die Bundesländer über sämtliche Ratschläge von Bosnienexperten und Hilfsorganisationen hinweg, erklärte er gestern in Göttingen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat am Sonntag abend die Ergebnisse der Wahlen in Bosnien-Herzegowina für gültig erklärt. Sie wies damit auch alle Vorwürfe von Wahlbetrug zurück. Die Bestätigung der Wahlergebnisse war die Voraussetzung für das erste Zusammentreffen des dreiköpfigen Staatspräsidiums, das gestern nachmittag nach langem Hin und Her stattfand. Zuvor hatte das serbische Präsidiumsmitglied Momcilo Krajisnik den Tagungsort im Stadtzentrum abgelehnt. Das Treffen fand schließlich im Hotel „Saraj“ außerhalb der City in einer – wie es hieß – „guten und arbeitsamen“ Atmosphäre statt.

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