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Wer sich erniedrigt, der wird erhöht

„Zerreißen“ und „zusammenraufen“ soll sich das Team von Bayern München heute im DFB-Pokal bei Mönchengladbach, sagt der kaiserliche Allgemeinplatzwart. „Schmarr'n“, sagt da unser Autor  ■ Manfred Kriener

Sie streiten wieder. Und wie! Der FC Bayern hat am Samstag in Bremen sein erstes Bundesligaspiel verloren. Heute abend muß man im DFB-Pokal nach Mönchengladbach. Das reicht nach dem Europacup-Aus, um die große Krise auszurufen. Das Schuldkarussell dreht sich heftig. Die Vulgärpsychologie regiert. Allgemeinplatzwart Beckenbauer ruft nach „90minütigem Sich-Zerreißen“ nebst Überwindung „innerer Schweinehunde“ und fordert in seiner Kolumne für Bild: „Der Egoismus muß weg.“ Das neue Theater bei den Bayern zeigt sehr schön, woran es diesem Starensemble fehlt und warum die Rothosen auch dieses Jahr die Meisterschaft verpassen werden.

Als der VfB Stuttgart zu Hause gegen Düsseldorf sein erstes Spiel verlor, reagierten Trainer und Mannschaft angemessen: „Irgendwann mußte es ja passieren.“ Damit war das Match abgehakt. Bei den Bayern wird die erste Niederlage der Saison wie fast jedes verlorene Spiel zur Katastrophe umgedeutet. Daß man gegen eine starke Bremer Mannschaft auswärts unterlag, daß mit Helmer und Matthäus die wichtigsten Abwehrspieler fehlten, daß eine englische Woche mit dem substanzzehrenden Europacup zu absolvieren war – die objektiven Ursachen tauchen in den Analysen der Münchner mit keinem Wort auf. Statt dessen verbales Säbelrasseln und Weltuntergangsstimmung. Die Reaktionen der Spieler und Funktionäre stehen exemplarisch für die Unfähigkeit, konstruktiv mit einer Niederlage umzugehen.

1.) Ausbruch des Masochismus

„Wir sind nicht würdig, das Trikot des FC Bayern zu tragen“, geißelt sich Thomas Strunz. Ziege will reumütig „alle elf Spieler auf die Bank setzen“, Kreuzer verlangt, „wir müssen zurück zu den Anfängen des Fußballs“ usw. Die halbe Mannschaft macht sich in der Niederlage zusätzlich klein. Ihr Lebensmotto: Wer sich erniedrigt, wird erhöht werden. Durch Unterwürfigkeit, harsche Selbstkritik und exzessives Bravsein biedern sich die Spieler unbewußt bei Vereinsführung und Medien an. Das macht Sinn: Unsere Gesellschaft hat für diese Form des Masochismus durchaus etwas übrig. Wer sich selbst schuldig spricht, läßt sich leichter beherrschen, ist ein guter Untertan.

2.) Sehnsucht nach dem Führer

Überall wird der „Leitwolf“ gesucht, der „Verantwortung übernimmt“. Beckenbauer will „ganze Kerle“ sehen, Cotrainer Augenthaler erkennt eine Mannschaft ohne Führung, die Süddeutsche Zeitung fragt nach Persönlichkeiten, die den Troß teenagerhafter Topverdiener „beeindrucken, fordern oder gar anführen“. Die Beschwörung des großen Führers ist ein Rückgriff in die küchenpsychologische Trickkiste. In schwierigen, angstmachenden Situation erleichtert die Vorstellung, ein besonders begabtes Wesen, ein charismatischer Fußballheld werde es schon richten, wenn er nur aus der Herde der grauen Mäuse heraustrete. Dies verkennt, daß es in München eher zu viele Leitwölfe gibt und daß ihre Rivalitäten das notwendige Wirgefühl einer homogenen Mannschaft stören. Sobald diese Rivalitäten aufbrechen, polemisieren dieselben, die jetzt nach „Führung“ verlangen, daß es in München „zu viele Häuptlinge und zu wenige Indianer“ gebe.

3.) Vom „Kampf“ zum Spiel

Besonders epidemisch ist die Unterstellung mangelnder Einsatzbereitschaft. Die Mannschaft habe nur „mit 40 Prozent“ gespielt, sagt Trainer Trapattoni. „Das Engagement fehlt“, diagnostiziert Oliver Kahn. Beckenbauer will, daß sein Team endlich „alles gibt“. Wem die Bereitschaft oder auch die Kompetenz fehlt, die objektiven Ursachen der Niederlage zu erforschen und die schwierigen gruppendynamischen Prozesse in einer Mannschaft zu analysieren, muß sich auf die einfachste wie dümmste aller Erklärungen verlegen: Die Mannschaft will nicht, ist zu faul, lauter satte Millionärsbübchen. Dies deckt sich zwar wunderbar mit den Neidgefühlen der Zuschauer, ist aber trotzdem falsch. Den Bayern fehlt es nicht an Einsatz, sondern an Spielwitz. Und der ist eher das Gegenteil von teutonenhaftem Kampfgetümmel.

4.) Das reinigende Gewitter

Irgendwas muß getan werden, also wird getagt. Beckenbauer verkündet „um 10 Uhr Mannschaftssitzung“, anschließend tritt der Spielerrat zusammen. Man sucht die große Aussprache, will sich zusammensetzen, „zusammenraufen“. Die Vereinsführung trifft sich ebenfalls zum Krisengipfel. Zuallererst ist das purer Aktionismus. Vergessen wird dabei, daß Aussprachen keineswegs naturgesetzlich in eine gemeinschaftliche Aufbruchstimmung münden. Da in München religiöse Denkhemmungen gegenüber der Vereinsführung bestehen, dürfte allerdings eine wirklich offene Diskussion ohnehin nicht stattfinden. Das Zusammensitzen entspricht eher mystischen Schwitzhüttenritualen mit dem formelhaften Aufsagen überlieferter Fußballweisheiten à la „Elf Freunde müßt ihr sein“. Die ehrliche Analyse ist nicht gefragt.

Dabei könnten die Bayern mit etwas Sinn für die Realitäten vieles bewegen. Dann würde man als erstes Trapattoni ganz schnell einen weiteren Deutschkurs oder Dauerdolmetscher spendieren. Wie soll ein sprachloser Trainer gerade in dieser affektgeladenen Situation eine Mannschaft motivieren, wenn er keinen geraden Satz herausbringt? Dann würde man vielleicht auch die Frage zulassen, ob es richtig war, ausgerechnet im explosiven München die Zeitbombe Mario Basler zu verpflichten? Dann würde endlich auch einmal der Kaiserschmarr'n des großen Vorsitzenden kritisiert, dessen tumbe Rundumschläge die Mannschaft immer wieder neu verunsichern. So viel Ehrlichkeit ist nicht gefragt. Statt dessen gibt's die berühmte „umgekrempelte“ Mannschaft, Geldstrafen und gewaschene Köpfe, Drohungen mit Neuverpflichtungen und am Ende reichlich Good-will-Bekenntnisse aller Akteure.

So wird der FC Bayern seine Ohnmachtsgefühle los. Nur: So wird er sicher nicht Deutscher Meister.

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