piwik no script img

Flüssig, halbmatschig, fest, langweilig

■ „Der Schmutz – 100 easy pieces“: Musiktheater von Ernst Bechert auf Kampnagel

Was einer sich wohl dabei gedacht habe, ist nach avantgardistischen Kunstbemühungen gern die Frage. Ergiebiger ist die Erwägung, ob es spaßig war. Schmutz, eine Co-Produktion der Münchner Micro-Oper und Kampnagel, bot am Mittwoch des Spaßes halber einiges auf. Der Gegenstand des Abends, flüssig, halbmatschig, fest, hing an drei schwarzen Wänden der Bühne, in deren Mitte ein weißer Kasten als Labortisch und Laufsteg diente. Zwei Schauspieler, eine Mezzosopranistin, eine Pianistin mit medizinischem Gerät machten deutlich, daß es um die Geburt der Poesie aus dem Geist der Wissenschaft gehen sollte. Oder umgekehrt. Ausgedacht und inszeniert hat Schmutz der junge Komponist Ernst Bechert. Das Thema Müll liegt seit Fassbinders Stück ja auf der Straße. War aber nicht gemeint. Auch nicht Heinrich Manns moralischer Unrat. Der Schmutz, den Bechert im Sinn hatte, und den zu beschreiben er Texte von Christian Enzensberger, Francis Ponge und anderen bemühte, war zwar durchgehend anwesend in Händen, Mündern und verschmiert auch auf Schauspielerhaut. Doch Analproblematik, sei sie hundertmal variiert, trägt keinen Theaterabend. Auch der Hinweis, der Mensch produziere 25 Ausscheidungen, die 26. sei er selbst, gibt nichts her, man führe ihn denn aus. Das aber geschah nicht. Bechert kann Sprache mit Tönen versehen, Schauspiel in Saiten- und Tastenspiel übergehen lassen, klanglich-strukturell abwechslungsreiche Musik schreiben. Aber „100 Pieces“ machen noch keinen Theaterabend. Man füge sie denn zusammen, gebe ihnen eine Form. Kunst, abstrakt oder avantgardistisch, ist Geschichtenerzählen. Provokationen sind kein Ersatz. Sie brauchen eine Moral. Darum war Schmutz (was immer Bechert hat sagen wollen ) nur langweilig.

Stefan Siegert/ Foto: M. Scholz

4., 5. Okt., 20.30 Uhr, Kampnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen