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Die soziale Funktion begreifen

■ Kunst in öffentlichen Raum in Chicago: ein Vorbild für Hamburg?

Austauschprogramme sind der Alltag repräsentativ geschlossener Städtepartnerschaften. Zwischen Hamburg und Chicago funktionieren sie. Zur Zeit ist die US-amerikanische Künstlerin Barbara Koenen hier. Letzte Woche zeigte sie im Westwerk ihre starkfarbigen, meist in Punktrastern vergänglich aufgebauten Bilder, für die sie Materialien wie Konfetti, Katzendreck oder Lavendelsamen benutzt.

Sie ist nicht allein Künstlerin, sondern auch Referentin des „Public Art Program“, einer städtischen Stelle, die dem Hamburger Referat für „Kunst im öffentlichen Raum“ entspricht. Seit 1978 gehen 1,33 Prozent der Baukosten öffentlicher Gebäude an das „Public Art Program“, das außerdem auch private Stiftungen und Regierungsprojekte bearbeitet. Nachdem etliche Großskulpturen, unter anderem von Jean Miró, Henry Moore, Richard Serra und Frank Stella, an signifikanten Stellen aufgestellt wurden und Bibliotheken, Feuerwehrhäuser und U-Bahn-Stationen mit Kunst bestückt sind, ist diese Art der Stadtmöblierung kaum noch steigerbar. Diese Erkenntnis gilt trotz unterschiedlicher Traditionen ähnlich auch für Hamburg.

Noch als 1994 die Hauptstraße des mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten Stadtteils Bronzeville, der Dr. Martin Luther King, Jr. Drive, mit 10 Millionen US-Dollars zusaniert werden sollte, war für den Kunstanteil zuerst an eine einzige, große Plastik gedacht. Doch dann entschloß man sich, Kunst stärker in ihrer sozialen Funktion zu begreifen und etwas für die Identität des Distrikts zu tun.

Der heruntergekommene große Boulevard war einst das Herzstück eines lebendigen Viertels, das in den 30er und 40er Jahren eines der größten Jazz-Zentren der Welt war. Mit der Absicht, wieder neue Restaurants, Clubs und Shops anzuziehen, wurden bei der Sanierung 500 000 US-Dollars für die Kunst abgezweigt. Nach einem schwierigen Dialogprozeß erforschten 17 Künstler den Ort und seine Geschichte. Sie gestalten Zäune, individuelle Bänke (die hier zugleich die Bushaltestellen definieren) und eine metergroße bronzene Karte der historischen Stätten. Eine fünf Meter Bronzefigur von Alison Saar, ein Mann mit Koffer, herauswachsend aus einem Berg Schuhsohlen, definiert nun als „Monument to the great Northern Migration“ den Beginn der zur Ehrenstraße der Schwarzen gewordenen Boulevards. 91 Plaketten im Gehweg erinnern als „Walk of Fame“ an schwarze Autoren, Wissenschaftler, Boxer und Musiker.

Das „Public Art Program“ verfügt über ein umfangreiches Dia- Archiv von Künstlern. Dies ist die Basis für alle Projekte des Programms, deren Mitarbeiter ihr Geld ganz marktwirtschaftlich prozentual von den bearbeiteten Projekten erhalten – Horror für deutsche Beamte. Projektspezifische Arbeitsgruppen müssen zugleich Transparenz und Verbindlichkeit zeigen und haben die sehr amerikanische Aufgabe, die sozialen Gruppen „politisch korrekt“ zu beteiligen.

Auch in Hamburg muß sich das einst vorbildliche Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ neuen Aufgaben stellen. Selbst wenn die Projekte so gelungen sind wie Balkenhols „Männer auf Bojen“ an Elbe und Bille oder die drei Leuchtschriften „Die Eigene Geschichte“ an den Bahnhöfen von Harburg nach Altona, drängt sich die Frage auf, ob es noch einzelne Kunstobjekte braucht. Demnächst sollen die Gelder der großen Neubauvorhaben wie Allermöhe II sinnvoll investiert werden. Dazu wird ein stärkerer sozialer Bezug wie bei der öffentlichen Bibliothek von Clegg & Guttmann oder gemeinsame Projektplanung von Architekten und Künstlern angedacht. Von US-Amerika zu lernen wäre in jedem Fall die weitaus deutlichere Kooperation mit der Öffentlichkeit.

Hajo Schiff

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