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Was versteht ein Deutscher?

■ Christo und Jeanne-Claude präsentierten eine Dokumentation der Reichstagsverhüllung

Ein Hauch von Hofhaltung umgibt Christo und Jeanne-Claude, wenn sie persönlich ihre Projekte vorstellen. Das internationale Künstlerehepaar hat es geschafft, mit ihrer erklärtermaßen elitären, millionenaufwendigen Kunst zu publikumsgeliebten Stars zu werden und alle Widerstände in ihre Arbeit zu integrieren. Jetzt erhielten sie das Bundesverdienstkreuz für ihren Erfolg mit dem „Verhüllten Reichstag“, deswegen konnten sie am Montag abend auch in Hamburg weilen, um den dazugehörigen Film vorzustellen und über neue Projekte zu sprechen. Geplant sind 10 000 Stahltore für den Central Park in New York und „Over the River“, die kilometerlange Abdeckung eines Flußes in den Rocky Mountains.

Da die Christos sich grundsätzlich nicht von staatlichem oder privatem Geld sponsern lassen, ist es nicht so einfach, als Firma den beiden Geld zukommen zu lassen. Genau das aber wollte die Hamburger Tabakfirma BAT. Sie hat als zweites Kunstförderungsprojekt nach der Beendigung ihres langjährigen Kunstfoyers in der Esplanade die Christos eingeladen und den Film in einer Preview in den Zeisehallen zeigen lassen. Vor allem aber hat die Firma zwei große Collagen zu den neuen Projekten angekauft und sie sogleich an die Kultursenatorin und somit zum Besitz eines städtischen Museums weitergegeben.

Der Film Dem deutschen Volke der Brüder Wolfram und Jörg Daniel Hissen dokumentiert das 24jährige Bemühen von Christo und seinem Stab um die Reichstagsverhüllung. Er zeigt nicht nur wie dem Künstler langsam die Haare ergrauen, er ist auch ein Dokument deutscher Geschichte von der Mauer im Schnee bis zum Vereinigungstaumel.

Walter Scheels Hilfsangebote und Willy Brandts Besuch im New Yorker Atelier, markige Opposition und entscheidende Befürwortung durch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und der einzigartige Event einer 70minütigen Bundestagsdebatte über Kunst werden ins Gedächtnis gerufen. So handelt der Film von weit mehr als guter Kunst und wird zum Beweis für die Albernheit konservativer Politikeraussagen wie Schäubles „so etwas würden die Deutschen nicht verstehen“.

Doch der fatale deutsche Hang zu Ordentlichem und Endgültigem sitzt tiefer als es die lockere Partystimmung am verhüllten Reichstag ahnen läßt: „Was mich am meisten ärgert, ist, daß es nicht von Dauer ist“, sagt, den notwendig einmaligen Charakter der Arbeit verkennend, ein Mitarbeiter aus den neuen Ländern... ob er das von der Mauer auch gesagt hätte?

Das Ergebnis des außerordentlichen Beharrens ist bekanntermaßen das silbrigglänzende Kunstwerk reiner Poesie, deren hymnische Abfilmung zu Mozarttönen bei aller Liebe dann vielleicht doch eine etwas zu pathetische Passage ist. Die Schlußszene des Film zitiert die Voreinschätzung Willy Brandts: „Jeder Deutsche wird sich in dem verhüllten Reichstag spiegeln“.

Vor dem Kino wurde demonstriert: gegen die Borniertheit der Investoren, die Ottensen mit immer mehr, kaum sinnvoll füllbaren Kinosälen besetzen wollen, was zudem unübersehbare Automengen nach sich zieht. Dazu wurden in einer eher hilflosen „Kunstaktion“ – „packen wirs an, packen wirs ein“ – einige Autos notdürftig abgedeckt.

Hajo Schiff

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