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Eimsbüttel für sie und ihn

■ 20 Gläser Rotkohl, Glücksan-Enthemmer und das Schaufenster beim SPAR: Einkaufstips für Kunden, die das Besondere suchen Von Ruth Hoffmann

„Wie kann es sein, daß Du schon seit vier Wochen hier wohnst?“ fragte mich eine Freundin, die ich kurz nach meinem Umzug nach Eimsbüttel auf der Straße traf, „Du bist doch nie bei SPAR-Eimsbüttel!“

Ja, SPAR-Eimsbüttel – groß, schick, gut sortiert, langweilig. Wer echtes Lokalkolorit sucht, Eimsbüttel pur, der sollte die Osterstraße hinter sich lassen und der eigenwilligsten SPAR-Filiale Hamburgs den Vorzug geben.

Sie findet sich nur zwei Straßen weiter an der Lappenbergsallee (Ecke Matthesonstraße). Auf kaum mehr als 30 Quadratmetern ist hier vom Schnürsenkel bis zur Tütensuppe alles zu haben. Stehen mehr als drei Leute an der Käse- und Wursttheke, ist es praktisch unmöglich, die Tiefkühltruhe zu umschiffen, ohne dabei den Turm aus Dosenbier umzuwerfen.

Doch nicht die intime Enge ist es, die diesen Laden seiner großen Schwester an der Osterstraße überlegen macht. Auch die Frischmilch zum Selbstzapfen und der türkische Kassierer mit Amulett und Minipli sind es nicht – nein, es ist das Schaufenster! Welcher SPAR-Laden hat schon ein Schaufenster? Ein echtes, mit Auslage! Dieser hat! Und was für eins!

Ein Kleinod der Dekokunst. Auf sattgrünem Plastikrasen steht jahrein, jahraus ein Zimmerspringbrunnen, ohne je seinem Namen Ehre zu machen; denn wenn er etwas nicht tut, so ist das springen: Im trüben Wasser dümpeln aus rätselhaften Gründen braune „Hydrokultur“-Kügelchen, zwei Ficus-Bäumchen, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben mögen, flankieren das gute Stück. Ein Viertel ihrer Blätter haben sie schon verloren, ein weiteres Viertel ist bereits gelb und harrt ganz offensichtlich desselben Schicksals.

So weit die Dekoration. Mit der Auslage jedoch übertrifft sich das SPAR-Deko-Team immer wieder selbst: Zu sehen sind so tolle Sachen wie acht Tüten mit Plastikgabeln nebst drei Stapeln Pappteller, einige zusammengefaltete „Bols-Weinbrand“-Kartons und ein Korb voller „Seramis“-Wasserstandsanzeiger für Zimmerpflanzen.

Im Gegensatz zum Springbrunnen und der üppigen grünen Fauna ist die Auslage selbst keineswegs eine Konstante. Zuweilen werden die Pappteller durch mehrere Tüten mit Blumenerde ersetzt, und um den Kaufimpuls der staunenden Kundschaft auf die Spitze zu treiben, kommen auch mal ein bis zwei Bierdosen dazu.

Pappteller, Blumenerde und als Spitzenleistung noch, kaum zu glauben, zwei Bierdosen

Die jahreszeitlichen Zwänge gehen auch an diesem Schaufenster nicht spurlos vorbei, und so liegt nun seit einigen Tagen ein großer Haufen Ostereier-Tüten im vollsynthetischen Rasen.

Läßt man die Grundstraße rechts liegen und folgt der Lappenbergsallee noch ein paar Schritte, so gelangt man an ein unscheinbares Geschäft. „Fotos und Visitenkarten“ steht über der Tür und am Fenster „Geschäftspapiere“, „Schilder aller Art“, „Colorscans“. Ein Laden also, der keine der Erstaunlichkeiten zu bieten scheint, an denen Eimsbüttel so reich ist. Doch ein Schild im Schaufenster belehrt uns eines besseren: Samstags von 10 bis 14 Uhr, so heißt es da, gebe es hier Strumpfhosen und Leggings für eine Mark und Rucksäcke für zehn Mark. Doch damit erschöpft sich der Service noch nicht, denn netterweise klebt neben dem erfreulichen Angebot auch noch ein Rezept für Bananenkuchen.

Auch in Eimsbüttel zu haben: eine echte „Bio-Creme“ mit „medizinischer Sexwirkung“

Doch Eimsbüttel kann auch anders. Wer's nicht glaubt, der lenke seine Schritte zum Schulweg / Ecke Osterstraße, zum Geschäft für „Spezialhygiene für Sie und Ihn“. Der geneigte Stadtteiltourist wird auch hier ein abwechslungsreiches Schaufenster vorfinden: Viele kleine, ausgeblichene Pappschachteln, größtenteils in seriöser Apothekenaufmachung. Das Herstellungsdatum möchte man angesichts des Produktdesigns auf Mitte der 60er, allenfalls aber der 70er Jahre datieren. Da sind zum Beispiel die „Langzeit-Sex-Dragees ,Orgasmulong'“ und die „Glücksan-Enthemmungstropfen (mischbar mit jedem Getränk)“. Ein Hersteller verspricht für seine „Bio-Creme“ eine „medizinische Sexwirkung“, was immer auch damit gemeint sein mag ...

Etwas bodenständiger geht es nebenan in der Drogerie Hartmann zu. Sie ist nicht nur eine Perle des deutschen Einzelhandels, nein, sie führt – wie uns ein großer Aufkleber am Fenster mitteilt – auch „alles für den Hobbywinzer“. Oh Herz, was, bitte sehr, begehrst du mehr?

Vielleicht 20 Gläser Rotkohl? Kein Problem im Kaufhaus Prüter (etwas verschämt in einem Hinterhof am Hellkamp gelegen). Voraussetzung ist allerdings, sich zuvor von jedwedem Anspruch auf Makellosigkeit zu lösen, denn „Prüter“ bezieht seine Bestände aus Versicherungsschäden, was beim besten Willen nicht zu übersehen ist. Das Sortiment ändert sich laufend und umfaßt rußgeschwärzte Kartoffelkloß-Packungen ebenso selbstverständlich wie Levis-Jeans und Klobrillen.

Wem der Sinn nach leichtem Gruseln steht, dem sei „Möbel-Roseke“, ein Geschäft der dritten Art im Bunker am Heußweg, wärmstens empfohlen: Über vier Etagen reiht sich Wohnwand an Wohnwand – ohne jedes Tageslicht, dafür mit um so mehr deutscher Gemütlichkeit in bewährter Ausführung. „Eiche dunkel, auch in Teak“. Gekachelte Beistelltische, wuchtige Couchgarnituren, Messinggarderoben – trübe Neon-Röhren beleuchten die gespenstische Szenerie und verbreiten beispiellose Parkhausatmosphäre, gegen die auch die hoffnungsfroh hier und dort verteilten Kunstblumen-Sträuße machtlos sind.

Das einzig fröhliche, das einem auf der Flucht zurück ins Freie noch ins Auge fällt, ist ein buntes Schild, dessen Botschaft in dieser Umgebung geradezu aufdringlich euphorisch wirkt: „Dieser Tisch ist ausziehbar!“

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