■ Vorschlag: Pilz tanzt: Ten Pen Chii mit „N-Yoin oder 10.000 Löcher“ im Tacheles
Manchmal legen sich Butoh-Tänzer in irgendwelchen fernen japanischen Bergen ins Wasser, über Wochen, Monate, vielleicht auch Jahre, mehrere Stunden täglich. Denn nur so kann man die Bewegung des Wassers erfahren, nur so den Körper eines Tages im Tanz in Wasser selbst verwandeln. Manchmal ziehen sich Butoh-Tänzer auch zurück auf das Schloß Bröllin, das zum Landkreis Uecker-Randow gehört. Wahrscheinlich essen sie dort diese besonderen Pilze, die ein nicht ganz unbekannter taz-Autor (legendär sein Engagement in Sachen Hanf & Co.) als archaische Götterspeise bezeichnet, als den „Anfang der Religion“, den „Stein der Weisen“. Aber den Stein der Weisen haben die Butoh-Tänzer aus dem Landkreis Uecker-Randow nicht gefunden. Auch wenn sie glitschige Pilze auf der Bühne verzehren, auch wenn „N-Yoin oder 10.000 Löcher“ durchgeknallt ist wie Comics. Eine bizarre Mischung aus Butoh und Revue, eine Merkwürdigkeit, die sich leider in Belanglosigkeiten verläuft. Vielleicht haben die im Schloß Bröllin beheimateten Künstler der Ten Pen Chii Art Factory, die „N-Yoin oder 10.000 Löcher“ derzeit im Tacheles präsentieren, einfach die falschen Pilze gegessen.
Die Pilze, die im Tacheles vom Schnürboden herabhängen und auf einem Grasklumpen zu Hause sind, retten Kitt Johnson und die seit Tatoeba-Zeiten unvergessene Yumiko Yoshioka am Ende auch nicht davor, in eine, wie es heißt, aus 10.000 Stahlrohren bestehende Kugel zurückgesogen zu werden. Um sechs (!) Tänzerinnen und einen (männlichen) Musiker geht es in „N-Yoin“, und vor allem um besagte Kugel. In deren Innern wohnt, ein wenig wie der liebe Gott, der Mann, der die ziemlich laute und ziemlich psychedelische Synthie-Musik in den Theatersaal des Tacheles hinausschickt. Die Tänzerinnen, von seinem Takt getrieben, glitschen aus dem Kugelinneren auf den Bühnenboden. Löcher, die mit struppigem Fell bespannt sind, öffnen sich einen Spalt und schwellen zu mächtigen Vulven an, sobald sich Körper dagegen lehnen. Geboren werden halbnackte, wurmartige, sich auf dem Boden krümmende Körper, die sich flugs zu einer Art Chorus Line, einem Maden-Ballett, formieren. Das wirkt für einen Moment extrem lustig, aber Butoh und die Hierarchie von Revue und Ballett vertragen sich nicht. Die Körper-Metamorphosen, von denen der Butoh-Tanz lebt, in der Inszenierung von Joachim Manger sind sie nicht zu erleben. Michaela Schlagenwerth
Bis 26.10., 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Straße
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