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Mystifikation im Innern des Berges

Die Mythen plündern, um dem Geheimnis der Faszination eines Produkts auf die Spur zu kommen. Industriekultur auf neuen Wegen, zum Beispiel in den Swarovski-Kristallwelten  ■ Von Christel Burghoff

Verirrte sich einst ein Mensch in verwunschene Glitzerwelten von Eisköniginnen, so war es um seinen Seelenfrieden geschehen. Denn Edelsteinschätze vergißt man nicht mehr. Immer wollten die Unirdischen den Menschen an sich binden und verführten ihn mit unermeßlichem Reichtum und mit namenloser Glückseligkeit. Raum und Zeit verloren sich dem Besucher. Fand er je wieder heraus aus den Palästen im Inneren der Berge, dann war er oft alt und grau geworden, obwohl er dachte, es wären nur einige Stunden vergangen. Und das Leben unter den Menschen dünkte ihm fürderhin ein matter Abglanz alles Gesehenen... So wissen die Sagen und Märchen zu berichten. Und sie behaupten außerdem, das wäre alles ganz lang her.

Moderne Marketingexperten sehen das anders. Die archaischen Quellen anzuzapfen, die Mythen zu plündern, um dem Geheimnis der Faszination eines Produkts auf die Spur zu kommen, das Millionen Menschen an eine Marke magisch bindet wie den Raucher an die Marlboro, das ist ihr ehrgeiziges Programm. Wenn die Experten träumen, dann fangen die mythischen Zeiten erst richtig an. Und wenn ein Tourismusexperte träumt?

Ein Stück martialische Bergsymbolik muß jeder passieren, der in die unterirdischen Schatzkammern der Swarovski-Kristallwelten will: Er muß in den Bauch eines Ungetüms. Es ist ein künstlich aufgeschütteter Hügel, der aussieht wie ein bäuchlings im Gras liegender Riese. Er hat große Augen, die leuchten, er ist frisch begrünt, und auf seinem Rücken wurde ein Biotop angelegt. Künstlich ist auch der Wasserfall, der aus dem Schlund des Riesen in einen See geht. Der Eingang liegt hinter dem Wasserfall. Erst dann öffnet sich der zauberischen Veranstaltung erster Akt: die hohe Eingangshalle. Ein sinnverwirrender Raum. Es ist der Reiz der schrägen, farbigen Wände und der Dunkelheit. Spotlights beleuchten effektvoll Kunstwerke von Niki de St. Phalle, Keith Haring, Salvador Dali und anderen Künstlern, die allesamt Kristalle thematisiert haben. Eine der Wände, elf Meter hoch, ist aus Glas und gänzlich mit funkelnden Kristallsteinen gefüllt. Mittendrin, schillernd, sich unendlich im Licht brechend, liegt der größte Kristall der Welt. Es ist der „Swarovski Centenar“, ein Schmuckstein von 62 Kilogramm Gewicht.

Im österreichischen Wattens nahe Innsbruck, hier in den Alpen, wo die Sagen wucherten und die Kristalladern wuchsen, richtete die Firmengruppe Swarovski zu ihrem hundertjährigen Bestehen ein Firmenmuseum ein, in dem die Faszination von Kristallklunkern noch einmal neu erfunden werden sollte. „Labyrinthische Wunderkammern für moderne Höhlenmenschen“, ein Ort „symbolischen Reisens“ und ein „Fluchtpunkt alter Sehnsüchte der Menschen nach einem magischen Medium“, so schwärmt der Tourismusexperte Andreas Braun, derzeit Kommunikationsmanager von Swarovski. Ein Ort, an dem, so Braun, „Hohepriester“ am Werk waren, die offenbar nichts Geringeres als „die tiefe Sehnsucht des Beisichseins in einer globalen Nährflüssigkeit des Überall- und Nirgendwoseins“ stillen wollten. Ein Projekt, das, kurz gesagt, auf Gefühle setzt.

Und deshalb tief in die Trickkiste der Verführung gegriffen hat. Vor allem mit Hilfe moderner Technologie. Der Veranstaltung zweiter Akt heißt dreidimensionale, bewegte Projektionen. Ein Planet der Kristalle wurde dafür erfunden und so in Bewegung gesetzt, als gingen Mond und Sterne auf und beleuchteten den Sphärentanz magischer Zeichen, Figuren, wertvoller Steine. Eine seltsame Landschaft ist dies, voll von merkwürdigen Botschaften. Dieser Raum ist eine technische Wunderkammer. Durch dunkle Gänge und über schiefe Ebenen erreicht man den nächsten Höhepunkt, den „Kristalldom“. Der Schritt hinein ist wie ein Schritt ins Innere des Kristalls. Die zehn Meter hohe Kuppel ist mit Hunderten dreieckiger Kristallspiegel ausgekleidet. Während man auf einer Plattform steht, flirren rundum die Farben in einem Dauerspektakel. Die Lichteffekte entstehen aus wechselnden Spiegelungen, unendlich wird Licht gebrochen. Ein Farbenrausch. Um den Effekt zu verstärken, imitieren kristallene Klänge das Spiel der Prismen.

Klänge ganz anderer Art, nämlich einlullendes Säuseln zu fließenden, psychedelischen Farben und Mustern, hat die Abteilung Kristallmeditation parat. Es ist der Versuch einer Licht- und Klangarchitektur auf der Grundlage von Strukturen und Frequenzen der Kristalle. Und im Kristalltheater tauchen schließlich die Sagengestalten selbst wieder auf: bizarre Wesen und bewegliche Puppen, schillernd und mit Steinen drapiert, lauter Abbilder des schönen Schreckens. Aus der Tiefe eines dunklen Baches blickt ein Gesicht wie das einer übermenschlich großen kindlichen Wasserleiche. Aber es schneidet Grimassen und lacht. Und in einer Vitrine lacht eine Eiskönigin ihr kaltes Lachen: Wenn sie ihren Kopf verdreht und dabei den Mund öffnet, dann blinken anstelle der Zähne zwei Reihen funkelnder Rubine. Starr, kalt, wie tot ist die Dame.

Insgesamt sechs unterschiedliche Kristallkonzepte birgt der Bauch des Riesen. Sie sind auf drei Etagen untergebracht. Die Architektur ist verschachtelt und konsequent schräg und schief und asymmetrisch. Durch die unterirdische Welt zieht sich allein die geneigte hohe Kristallwand wie ein strukturierender Grat. Und funkelt symbolträchtig auf 42 Meter Länge.

Es verwundert nicht, daß hier André Heller seine Hand mit im Spiel hatte. Unter seiner Konzeption arbeiteten mehrere österreichische Künstler. Auch Brian Eno (Roxy Music) war mit dabei. Und es verwundert auch nicht, daß die Firma Swarovski für ihr Projekt lauter Künstler engagierte. Ihre Arrangements, so technisch raffiniert sie sind, verbreiten die Aura des Künstlerischen. Nicht die Ware Kristall steht im Vordergrund, sondern die eigentümlichen Phantasien vom Rohstoff. Innerhalb der hypermodernen Architektur schaffen die Künstler eine halluzinatorische Stimmung: psychedelisch, archaisch, esoterisch. Daß jedes Arrangement mit den Produkten der Firma Swarovski in direktem Zusammenhang steht – vom Nachtsichtgerät für die Nasa über diamantstaubbeflockte Endlosseile bis hin zu Kristallglasartikeln –, das wird nicht thematisiert. Daß hier pure Werbung gemacht wird, das merkt kein Mensch.

Und es soll auch niemand merken. „Der Retardeffekt in der Wahrnehmung des Touristen ist erwünscht“, so Andreas Braun. Ein „Tourismotop“ hatte er im Sinn, eine künstliche Welt – so hermetisch und selbstbezüglich, wie es religiöse Systeme sind, und so hintersinnig wie die Konzepte der neuen Kult-Experten, die ihre Strategien an den Erfolgsrezepten von Lourdes oder Disney orientieren, um unkritische Konsumformen durchzusetzen. „In der Höhle staunen, schauen, riechen, kaufen...“ soll der Mensch. Konsequent vermeidet Swarovski jegliche Produktinformation. Der Besucher erfährt nichts über Kristalle und ihre Herstellungsverfahren, nichts über die Produktionsbedingungen oder die arbeitenden Menschen. Realistisch wird es erst im letzten Raum, denn hier geht es ums konkrete Geschäft. In der Verkaufsausstellung sind die vielen putzigen kleinen Kristalltierchen versammelt, mit denen Swarovski weltweit bekannt geworden ist. Die sind käuflich.

Die Interessenkombination aus Schmucksteinindustrie, Künstlern und Tourismus hat Erfolg. Die Kristallwelten haben sich zu einem Besucherhit entwickelt. Die Erwartung von vierhunderttausend Besuchern im ersten Jahr wurde bereits nach neun Monaten überschritten. Gerüchten zufolge will Swarovski jetzt mit dem Gefühlsprodukt expandieren und es exportieren. Die Japaner sollen ganz scharf darauf sein.

Swarovski-Kristallwelten, A-6112 Wattens, Tel. 0043/5224/5080-0, geöffnet Montag bis Samstag von 8 bis 18 Uhr.

Zur Diskussion um neue Trends erschien jetzt: Albrecht Steinecke (Hg.), „Der Tourismusmarkt von morgen – Zwischen Perspektiven und Kultkonsum“, ETI-Texte, Heft 10, Universität Trier 1996.

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