: Grüne sollten weiter denken
■ betr.: „Fischer für deutsche Truppen in Bosnien“, „Schweige minute beim Blick auf Sarajevo“, „Ifor-Truppen müssen noch blei ben“, taz vom 28.10. 96; „Linke Grüne wollen Blauhelme statt Grauhelme“, „Wir müssen ein langfristiges tragfähiges Konzept entwickeln“, „Nicht am Falschen festhalten“, taz vom 29.10. 96
Ich kann es gut nachvollziehen, wenn Jürgen Trittin die Befürchtung hegt, daß das Engagement der Bundeswehr in Ex-Jugoslawien zur Vorstufe einer zukünftigen deutschen Großmachtpolitik geraten könnte. Ich bezweifle aber, daß ein Festhalten am Nein zum notwendigen Ifor-Einsatz mit voller deutscher Beteiligung daran etwas ändern würde. Im Gegenteil, Rühe, Naumann und Co. hätten auf diese Weise leichtes Spiel, unter Hinweis auf die humanen Zwecke der Ifor-Mission sich den Schafspelz überzuhängen.
Wenn mich mein 15jähriger Sohn fragt, warum ich den genannten Herren weiter so mißtrauisch gegenüberstehe, denke ich eher an ihre bislang wenig verspürbare Neigung, sich ungeschminkt von den zutiefst undemokratischen und vielfach verbrecherischen Traditionen der deutschen Militärgeschichte zu distanzieren. Generalinspekteur Naumann hält es zum Beispiel trotz „Barbarossa-Erlaß“, „Kommissarbefehl“ usw. immer noch für ungeklärt, „ob und warum“ die Generäle in der Wehrmachtführung versagt haben. Es stellt sich meines Erachtens hier die Frage, was jungen Rekruten der Bundeswehr heute beigebracht wird, wenn ihr oberster General öffentlich solche Geschichtsdefizite zum besten geben kann (vgl. Zeit-Symposium: „Gehorsam bis zum Mord?“, 1995).
Läßt sich weiter die fortgesetzte Diffamierung der Wehrmachtsdeserteure als „Feiglinge und Asoziale“ durch Exponenten der Bundeswehr etwa nicht als heimliches Festhalten am Prinzip des Kadavergehorsams für Soldaten deuten? Der erste Versuch einer demokratischen Heeresreform ist in Deutschland 1918/19 gescheitert. Ich glaube, daß es auf diesem Gebiet noch viel nachzuholen gibt und die Linke im Lande sich darauf mehr konzentrieren sollte. Nur so jedenfalls wird sich vermeiden lassen, daß wir mit der Bundeswehr eines Tages eine vergleichbare böse Überraschung erleben könnten wie seinerzeit mit der Reichswehr. Kristan Kossack, Minden
Die Ifor hat die feindlichen Truppen in Bosnien voneinander getrennt, wie in Dayton ausgehandelt. Diesen vorhersehbaren Erfolg nutzt Joschka Fischer, um an der Legende zu zimmern, die Nato hätte mit ihren Bombern den Krieg beendet, und ein früherer Einsatz hätte Schlimmes verhindert. Er unterschlägt, daß die wirtschaftlichen Folgen des unvollkommenen Embargos Milošević verhandlungsbereit machten. Pazifistische Grundsätze können zu politischen Fehlern führen. Risiken des Militäreinsatzes in schwer durchschaubaren Zusammenhängen zu vernachlässigen, kann größere Fehler verursachen und mehr Menschenleben kosten.
Das zivile Miteinander in Bosnien können die Militärs nicht organisieren. Die Grünen sollten darauf drängen, daß dafür der OSZE mehr Mittel in die Hand gegeben werden. Warum zögert die EU, ihre Hilfen abhängig zu machen vom friedlichen Zusammenleben? Die Nato kann in Bosnien nur noch eine sehr begrenzte Rolle spielen. Dietrich Jahn, Hannover
Endlich soll auch am grünen deutschen Wesen wieder die Welt genesen. Während der grüne Alibi„linke“ Jürgen Trittin noch ein wenig rumeiert, läßt der Parteipatriarch Joseph Fischer völlig ungeniert die Sau raus. Deutsche Truppen sind für ihn hauptsächlich für den Frieden da. Williger Stichwortgeber ist ihm Erich Rathfelder.
Die Grünen streben an die Regierung, und jedes Mittel auf dem Weg dorthin ist ihnen mittlerweile recht. Es bedarf keiner Prophetie, um vorauszusagen, daß sie früher oder später – egal in welcher Konstellation – eine Regierungsbeteiligung erreichen werden. Es ist zweifelhaft, ob außer einigen potentiellen grünen FunktionsträgerInnen dann jemand etwas bemerken wird. Zu sehr hat sich die grüne Partei verändert, als daß sich etwas ändern würde. Rolf Jordan, Oldenburg
[...] Allem Nationalismus zum Trotz ist nicht abzusehen, wie aus diesem Gebilde je ein einigermaßen funktionsfähiger Staat werden wird, der es jedoch werden soll. So bleibt es ein imperialistischer Ordnungsfall, und einem opportunistischen Denker wie J. Fischer fällt es natürlich nicht ein, zu fragen, was Deutschland und die Ifor-Truppen dort überhaupt zu suchen hätten. Würde er nämlich den Nationalismus auf dem Balkan kritisieren, müßte er ja glatt auch den deutschen mitsamt dessen imperialistischer Verlängerung kritisieren. So fragt er auch nicht, was für ein Scheiß-Frieden das ist, der nun dort unten vorliegt: Keiner der Gegensätze ist und wird aus der Welt geschafft, Gegensätze, die allemal für einen neuen Waffengang gut sind. Und als ob es angesichts dessen nichts Besseres zu tun gäbe, als den deutschen Imperialismus zu rechtfertigen, läßt sich grüne Politik keinen Haarspalt mehr von der deutschen Staatsräson trennen. Wenn J. Fischer behauptet, ihm und der grünen Delegation wurde vor Augen geführt, „welch unglaubliches Verderben der Nationalismus über die Völker der Region gebracht hat“, so ist das pure Heuchelei: Die Gründe für Nationalismus will er nicht wissen und nicht kritisieren! Wolfgang Richter, Augsburg
Wenn Jürgen Trittin die Mission in Bosnien als Aufgabe eines „klassischen robusten Blauhelmeinsatzes“ bezeichnet, dann möge er sich an das Ergebnis des Blauhelmeinsatzes vor dem Eingreifen der Nato erinnern: Das Problem liegt ja nicht darin, welche Farbe Panzer oder Helme haben, das Problem sind die übergeordneten Kommandostrukturen! Bei dem heillosen Kompetenzwirrwarr unter UNO-Kommando war effektive Hilfe nicht möglich!
Bevor sich Populist Trittin dazu versteigt, jegliche militärische Effektivität zu verdammen, egal, welchen Zwecken sie dient, sollte er zunächst ein Konzept vorlegen, wie man die UNO in solchen Fällen handlungsfähig macht. Dann kann er auch weitere Forderungen stellen. Roland Bösker,
Reykjavik/Island
Ich habe vollstes Verständnis dafür, daß der Anblick von so viel menschlichem Leid und so viel Zerstörung wie in Sarajevo Menschen dazu bringt, die Sicherung des Nichtfriedens auch mit militärischen Mitteln zu fordern, zumal wenn die Betroffenen dies selber wünschen. Andererseits sollten gerade grüne PolitikerInnen etwas weiter denken können: Jede Unterstützung militärischer „Konfliktlösung“ wertet die Rolle des Militärs in der Gesellschaft auf. So wird der Bundeswehr eine neue Legitimationsbasis bereitet, statt den vorhandenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck durch schmale Kassen und eine rapide Anzahl von Wehrdienstverweigerern zu nutzen, um die Debatte um die Abschaffung zu forcieren.
Pragmatismus ist ja gut und schön, aber wenn er dazu führt, daß eine Oppositionspartei – und nach ihren Worten die einzig wirklich und wahrhaftige – in den Chor der Militärbefürworter einfällt, statt stimmige Alternativkonzepte zu entwickeln und zu propagieren, führt er in die Irre. Dann ist der Weg nicht mehr weit bis zur grünen Zustimmung zu angeblich zur Friedenserhaltung nötigen neuen Waffenanschaffungen. Dabei gibt es doch inzwischen genügend diskussionswürdige Modelle zur „zivilen Friedenssicherung“, die es wert wären, stärker in die Öffentlichkeit getragen zu werden. Wenn der friedenspolitische Debattenbeitrag sich darin erschöpft, den Zeitpunkt der Rückführung von Kriegsflüchtlingen zu diskutieren – so wichtig das auch ist –, ist das für eine angeblich immer noch pazifistische Partei zuwenig.
Wer sich auf Biegen und Brechen als „regierungstauglich“ profilieren will, läuft Gefahr, gar nicht erst in die Verlegenheit zu kommen, an einer Regierung beteiligt zu werden. Denn wer keine Alternativen bietet, ist bald auch für die WählerInnen keine Alternative mehr. Dieter Walendy,
Mönchengladbach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen