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Zwischen Tragik und Komik

Der bosnische Schauspieler Emir Joldic spielt sein eigenes Schicksal als Kriegsgefangener der Serben. Theaterspielen als Therapie gegen die Wut  ■ Von Isabel Fannrich

Kaum einen Schritt weit auseinander liegen für Emir Joldic Schauspiel und Wirklichkeit. Soeben hat er noch im Grips-Theater sein eigenes Schicksal als serbischer Kriegsgefangener und Flüchtling in Berlin wiederaufgerollt. Kurz darauf sitzt er mit den anderen deutschen und bosnisch-kroatischen Schauspielern bei Cevapcici und jugoslawischem Wein zusammen. Hünenhaft führt er mit weit ausholender Gestik engagiert das Wort. Die zunehmende Lautstärke in der Runde entlädt sich schließlich in traurig-melodischen Liedern aus dem Balkan.

Auch Tragik und Komik scheinen sich in Joldics Lebensauffassung auf Schritt und Tritt die Hand zu geben: „Selbst im serbischen KZ habe ich noch Theater gespielt, zum Beispiel kurze Szenen über die Tschetniks: Die können im Flachland nicht aufrecht gehen, weil sie als Bergbewohner das ständige Auf und Ab gewöhnt sind.“ Und Joldic macht den linkischen Gang nach.

„Wenn so viel Scheiße auf einmal passiert“, sagt er dann wieder ernst und mit rollenden R, „dann kann man das nur so verarbeiten, mit bosnischem Humor. Oder soll man einem Menschen mit halb entstelltem Gesicht noch sagen ,Oh, wie schlimm ...‘? Das macht alles doch noch trauriger.“

Am schlimmsten war für Joldic beim Krieg in seiner Heimat die Erfahrung, von seinen Freunden verraten worden zu sein. Nach seinem Schauspielstudium in Belgrad war der heute 37jährige wieder in seine Geburtsstadt Bijeljina zurückgekehrt, die im „Dreiländereck“ von Bosnien, Kroatien und Serbien lag. „Vor dem Krieg lebten dort 100.000 Serben und vielleicht 40.000 Muslime. 1992 konnte ich nicht an Krieg glauben, weil es dort so viele gemischte Familien gab. Daß ich Muslim war und meine Frau Serbin, spielte nicht so eine große Rolle. Ich ging nie in die Moschee.“

Doch er erinnert sich auch, daß bereits in den zwanziger Jahren die Tschetniks Muslime in ihren Häusern verbrannt hätten. „Die Großeltern wissen noch genau, wer dafür verantwortlich war. In manchen Gegenden schwelte der Konflikt weiter.“

Als der serbische Kriegsverbrecher Arcan 1992 mit seiner Truppe nach Bijeljina kam, hatte er ein leichtes Spiel. „Die Serben waren vorgewarnt und verließen die Stadt. Meine serbischen Freunde haben mir nicht Bescheid gesagt. Dann wurden 400 Muslime auf der Straße und auf dem Fußballfeld zusammengetrieben und erschossen.“ Joldic zieht seine Baseball- Mütze ab und erzählt mit fester Stimme. Die Serben verhafteten ihn früh morgens, als seine fünfjährige Tochter dabei war. „Später traf ich einen meiner ehemaligen ,Freunde‘ im KZ wieder. Er war dort Wärter, legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: ,Emir, ich wußte, daß sie dich um halb fünf morgens abholen würden.‘ Andere kamen ins Lager und schlugen mich.“

Emir Joldic holt ein Paßbild hervor, von dem ein Mann Mitte Vierzig mit gelichteter Stirn und grau- müdem Gesicht blickt. „Kurz nach der Flucht – ich hätte mein Vater sein können.“ Er war nach drei Monaten durch einen Gefangenenaustausch freigekommen. Als Gegenleistung für den Transport an die Grenze mußte er sein Haus an die „Serbische Republik“ verschenken. Nachdem er mit seiner Familie eine Woche lang vergebens auf eine Einreisegenehmigung in die Bundesrepublik gewartet hatte, kamen sie schwarz über die Grenze. „Trotzdem brauchte ich dann nur zum Sozialamt zu gehen, das uns eine Unterkunft und Geld gab“, wundert er sich noch heute. Nach einer Odyssee durch acht Wohnheime und dem vor einem Jahr erkämpften eigenen Mietvertrag steht der Aufenthalt der Familie Joldic jetzt wieder auf wackligen Beinen; die Aufenthaltsbefugnis soll in eine Duldung mit eingeschränkten Rechten übergehen. „Für was habe ich die ganze Zeit gearbeitet?“ fragt Joldic und sackt kurzzeitig ein wenig zusammen, „ich habe die Kraft und Lust verloren weiterzukämpfen. Mir ist egal, was jetzt passiert, ob ich nach Bosnien zurück muß oder nach Kalifornien, weil dort Ex-Gefangene aus dem KZ ohne Probleme eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Ich habe keine Angst davor, denn nach dem KZ kann ich alles bewältigen.“

Alles, nur das Gefühl nicht, in diesem Land bloß geduldet zu werden. Gerade er als Schauspieler müsse sich im Land frei bewegen können, ohne bei jedem Gastspiel eine Erlaubnis bei der Behörde einzuholen. Resigniert zuckt er die Schultern: „Ich bin nicht in Berlin verliebt, aber ich habe hier einen Kreis von Leuten gefunden.“

„Ich kann den Serben aus Bijeljina nie vergessen und verzeihen, was sie gemacht haben. Dorthin kann ich nicht zurück.“ Seine „einzige Aufgabe“ sieht er darin, seine Tochter von diesen Menschen weit wegzubringen. „In zwanzig Jahren könnte es dort knallen, die Geschichte wiederholt sich auf dem Balkan.“

Joldic erzählt das alles ohne Wehmut oder Selbstmitleid. Er ist ein „Macher“, ein Stehaufmann trotz aller Rückschläge. Als er 1992 nach Berlin kam, konnte er wegen Klaustrophobie kaum U-Bahn fahren. Ständig dachte er, jemand würde sich ihm von hinten nähern und bei voller Fahrt aus dem Waggon schmeißen. Freimütig erzählt er, daß er nach einem halben Jahr Psychotherapie wieder mit der Schauspielerei angefangen habe. In den letzten Jahren war das Theaterspielen wie eine Therapie. „Ich konnte meine Wut loswerden, denn ich kann ja kein Maschinengewehr nehmen und auf die Leute da unten losschießen.“ Es sei schwierig, wenn man so wenig Distanz zu seiner Rolle habe. Einmal sei er bei Dreharbeiten weggelaufen, weil er zu serbischer Musik spielen sollte, die auch die Tschetniks im Lager gehört hätten. Die Muslime mußten damals dazu tanzen. „Ich fühlte mich wie im Krieg. Ich bin ganz schnell aus München abgehauen.“ Joldic hat jetzt genug von Kriegsthemen. Zusammen mit dem neugegründeten „Sarajewo-Kollektiv“ will er sich wieder seiner Favoritin widmen: der Komödie.

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