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Floskeln statt Offenheit

■ Islamische Vereine propagieren "Toleranz und Annäherung", lassen sich aber nicht in die Karten schauen. Erscheinen bei Diskussionsveranstaltung gilt als Erfolg

Ein „deutsch-türkischer Dialog“ sollte es werden, ein Thema sollte zur Sprache kommen, das in der Öffentlichkeit entweder kaum beachtet oder nur mit Vorurteilen besetzt ist: das islamische Vereinsleben. So gibt es immer mehr islamische Frauenorganisationen, die Kindergärten betreiben, zahlreiche religiöse Kultur- und Jugendzentren und Moscheen. Nach einer Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer ist rund 68 Prozent der befragten türkischen Jugendlichen in Deutschland eine starke türkische Nation wichtiger als die Demokratie. Handelt es sich bei diesem immer größer werdenden Netzwerk einfach um attraktive Freizeitmöglichkeiten, die auch Nicht-Muslimen offenstehen, oder um eine abgeschottete Fluchtburg aus dem deutschen Alltag?

Die weitgehende Unkenntnis, insbesondere über die Jugendarbeit der Vereine, konnte jedoch auch nicht bei einer Veranstaltung des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften am Montag abend beseitigt werden – die Antworten der Vertreter der nationalistisch orientierten Milli Görüș und des Vereins „Vergessene Jugend“ entpuppten sich als Worthülsen. Milli Görüș, vom Verfassungsschutz beobachtet, bietet Korankurse für Kinder an, engagiert sich in Jugendetagen und führt Musterprozesse um die Freistellung von Mädchen vom koedukativen Schulunterricht. „Wir wollen vergessene Werte und Normen wieder richtig beleben“, beschrieb der Vorsitzende der „Vergessenen Jugend“ das Ziel seines rund 100 Mitglieder starken Vereins. Also keine Drogen, keine Gewalt, keine Intoleranz. So gebe es zum Beispiel „Sozialberatung und Nachhilfe“.

Doch ob die Jugendarbeit nun politisch oder nur religiös ausgerichtet sei, ob Sozialarbeit mit Mädchen und Jungen unterschiedlich konzipiert sei, beantwortete der 23jährige nicht. Er wiederholte seine Floskeln über „Offenheit und Liebe“. Auch der Milli-Görüș-Vertreter Hassan Akoyl sprach zwar immer wieder davon, daß die Jugend „etwas bewegen“ und es eine Annäherung zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen geben solle, doch welche Funktion die von Milli Görüș eingerichteten Jugendetagen dabei haben, verschwieg er. Entlocken ließ er sich nur, daß die Polizei schon mal am Vorabend des 1. Mai die Jugendetagen besucht, um „deeskalierend“ zu wirken.

Für Mitveranstalterin Tatiana Lima Curvello war die Diskussion, die keine war, dennoch ein „kleiner Erfolg, weil die Vereine überhaupt gekommen sind“. Sie hofft, daß die Jugendverbände zukünftig „kommunikativer“ werden und die Offenheit auch wirklich ernst nehmen. Julia Naumann

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