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Blumenbeats und schweißmatte Salons

■ Aus dem Hamburger Neuerscheinungsmarkt der letzten Wochen sproß Kopf-, Kunst-, Krach- und Kreiselmusik

Devil's Rubato Band – Plays Abbey Road (Elbtonal/Indigo)

Gustav Peter Wöhler ist ein ulkiger Schauspieler mit Veranlagung zu Größe in kleinen Rollen. Außerdem ist er ein Musiker mit feinem Händchen für Theatermusik. Mit seiner Devil's Rubato Band, mit der er unter anderem die Black-Rider-Musik im Thalia spielt, hat sich Wöhler scheinbar einen Traum erfüllt: Abbey Road neu zu interpretieren. Leider ist das so interessant, wie eine Didi-Hallervorden-Parodie auf dem Kirmes, die nun per Video im Pantoffelkino läuft. Was live und bepackt mit nostalgischen Freudengefühlen für einen großen Abend reichen kann, wenn sich 50jährige Theatermenschen zur akustischen Version von „Octupus's Garden“ rührselig weinend in den Armen liegen, um bei „Come Together“ ungelenk die verfetteten Hüften zu schwingen, ist auf Konserve gepackt kein Grund, nicht das Original zu hören, wenn man Abbey Road noch zum Lebensglück braucht. Zwar ist Wöhlers Herangehensweise schon irgendwie anders, als man es von deutschen Coverbands gewohnt ist, die meist den verdammenswerten Versuch unternehmen, ihre Lieblingslieder technisch besser als im Original zu spielen. Aber Wöhlers Tribut gestaltet sich eben so theatralisch, daß nie ganz durchsickert, für wen diese Platte eigentlich gemacht worden ist. Für Jürgen Flimm, für die Gesamtschulkunstlehrerin oder vielleicht doch nur für sich selbst?

Till Briegleb

Whirlpool Production – Brian De Palma (L'Age D'Or/PP sales forces)

Übertölpelt: Erwarten konnte man als langjähriger Spex-Leser, daß sich Autor Hans Nieswandt nach der nächtlichen Beschäftigung mit Rave hinter die housigen Plattenteller drängen würde. Weiter konnte man nach einigen Singles erwarten, daß einmal eine lange Platte von ihm in den Regalen steht. Völlig unerwartet ist jedoch, wie unglaublich überzeugend und ausgebufft sein DebutBrian De Palma daherkommt, das zusammen mit den DJ-Kompadres Eric D. Clark und Justus Köhnke aufgenommen wurde. Mit „Außenaufnahme Altersheim, die Fünfte“ beginnt das LP-Debut und das bleibt auch die einzige Referenz an Deutschland. In der Folge klingts dann eher nach Chicago/USA, ohne aber in Eklektizismus zu verfallen. Über eine volle LP-Länge nichts weniger als geschmackvoller, korrekter House, dem alle billigen Gimmicks, Effekte und geschlechtsbereite Frauengesänge abhold sind. Dabei bewegt sich der Whirlpool auf einer gut entrümpelten Ebene und streut ab und an musikalisches Wissen darüber, das ebenso Soul wie Disco zuläßt. Nur manchmal schmettern die Samples etwas harsch und unbeholfen, was aber den Produktionsprozeß von Brian De Palma offenlegt. Immer wieder lösen sich die Spannungen, die sie durch Abstraktion und Reduktion erzielen, charmant in leichtfüßige Glücklichmacher auf. Allein, man mag sich nicht daran gewöhnen, daß die Platte auf dem House-Unterlabel von L'Age D'Or Ladomat 2000 erscheint, denn deren feixiger Amateurismus steht in eigenartigem Kontrast zum recht humorlosen, anspruchsvollen Brian De Palma. Aber so ist das eben mit Erwartungen.

Volker Marquardt

Kastrierte Philosophen – Souldier Nonstop (Strange Ways/Indigo)

 Die letzte Platte des Duos Katrin Achinger/Matthias Arfmann Souldier stellte als reifes Alterswerk eine echte qualitative Überraschung dar. Von einer Gruppe, die seit Dekaden existiert, erwartet man nicht mehr unbedingt, daß sie über sich hinaus wächst und ein seit einigen Jahren sprießendes Interesse für eine diametral andere Musik als ihr eigenes Erbe in eine so überzeugend produzierte Form gießen kann. Aber ihre Wandlung vom düsteren Dichter-Rock zu den Spielarten zeitgenössischen Dancefloors fand in dieser Platte die gelungene Ruhe einer Tanznacht, ohne den feinen Salon ausgefeilten Songwritings zu verlassen.

Nun hat sich, wie das bei guten „Tanz“-platten schon mal möglich ist, ein reges Häufchen an Produzenten und anderen Musikern über das Album hergemacht und es in Re-Mixes gespiegelt. Von Hamburger Volkspredigern wie Eric IQ Gray und Readykill zu Army Of Lovers-Produzent und The Orb-Mitglied Andy Falconer, Ex-Wire-Mensch Colin Newman oder den Dub-Rasern Bush Chemists reicht die lange Liste der potenten Nachvergolder.

Manche gehen in die Tiefe drogeneifriger Kleinstofflichkeit, andere zisilieren die Oberfläche der Stücke zu völlig neuen Profilen, fast alle reanimieren ihre persönlichen Stilvorlieben zwischen Dub-Reggae, Ethno-Pop oder Ambient aus den Stücken, aber beinahe alle Re-Mixes arbeiten mit dem vorhandenen Material so, daß neue Qualität entsteht. Und trotz 12 Kombattanten ist eine Einheit entstanden, die den Erwerb dieser Nachgeburt rechtfertigt.

Till Briegleb

Sugartown – Swimming In The Horsepool (Marina/Indigo)

Douglas MacIntyre, der schon bei Lloyd Cole klampfte und zuletzt ebenfalls bei Marina in Hamburg sein eigenes Projekt Cowboy Mouth veröffentlichte, und die schottische Bardin Gwen Stewart haben ihr gemeinsames Projekt nach einem Nancy-Sinatra-Hit aus der Feder von Lee Hazlewood Sugartown benannt. Von der Form des Produktionspaares Hazlewood-Sinatra sind sie allerdings weit entfernt. Eine grauenhaft dröge Blumenwiese wird da ausgelegt für all jene, die sich nach einer flachen Idylle sehnen.

Dabei weiß doch jeder spätestens seit Twin Peaks, daß es auf dem Land nach Kuhmist stinkt und hinter der Fassade das Grauen lau-ert. Folglich ist das alles kreuzlangweilig. Langweilig wie Gwen Stewart ihre Stimme immer mehr ausreizt, auf der Suche nach dem ehrlichen, weinerlichen Ausdruck der Folk-Intimität. Noch langweiliger, daß die Geige oder die Mundharmonika stets wie eine trottelige Filmmusik eilfertig die Melodiebögen begleitet, anstatt kluge Kontrapunkte und Kontraste zu setzen. Achtung, jetzt folgen die starken Gefühle!

Nur einmal, bei dem Willie Nelson-Cover „Valentine“, gelingt es dem Glasgower Duo, beim Schwimmen im Pferdetrog diese eigentümliche Balance zu bewahren. „Valentine“ klingt in ihrer Fassung wirklich wie ein Stück von David Lynch.

Anneliese Szabo

Knochen=Girl – dito

(Fidel Bastro/What's So Funny About)

Das ist wirklich kein Bindestrich sondern ein Gleichheitszeichen im Bandnamen des Berliner Quartetts. Auf den beiden Seiten der Gleichung stehen Knochen und eben Mädchen. Und tatsächlich werfen sie einem auf ihrer dritten Veröffentlichung bis auf die Knochen filetierte Melodiebruchteile vor die Füße. Verstreut liegen da zähe Soundskizzen aus Geräuschen, einem stoischen Baß, Gitarrenzuckungen und reichlich kruden Texten, die das Leben als Unfall verstehen, ohne aber in Diskurspop abzuschmieren. Zusammensetzen muß man sich daraus das Knochengirl dann selbst, das als Wiederholung innerhalb der Stücke dann aber kaum mehr die Bewegungen und Geschwindigkeiten ändert.

Durch die stets gewahrten Songstrukturen (sie weisen auf dem Cover, auch wenn's keinen interessiert, darauf hin, daß die 11 Stücke im Schnitt 4 und eine halbe Minute lang sind) robben sich Knochen=Girl bis an die Grenze der Verstehbarkeit und der musikalischen Dekodierbarkeit vor. Dabei treten sie aber nicht in Kunstkacke, sondern gelangen zwischen Kampf und Krampf zu bestechenden Erleuchtungen.

Volker Marquardt

Die Aeronauten – Gegen alles

(L'Age D'Or/EWM)

Nachdem das next big thing aus Hamburgs Poptiefen, die Band Tocotronic, soeben durchgestartet ist, scheint sie ganz nebenbei auch das last big thing gewesen zu sein. Das ausnahmslose Gefeier der Medien, die landauf, landab noch einmal elementar auf die Hamburger Kacke hauten, scheint signalisieren zu wollen: So, ein letztes Mal machen wir den Spaß noch mit. Nun, beileibe kein schlechter Abgang, es scheint, als habe die vielbeschworene Hamburger Schule nun geschlossen Abitur gemacht. Was liegt da näher, als die Eidgenossen in die Hamburger Labellandschaft einzuweisen? In der Schweiz, das ist bekannt, gehen die übrigens weltbekannten Uhren ein wenig langsamer als hierzulande. Vorzüglicher Nährboden für eine Band wie die Aeronauten. Gegenstandsloser Pop-Rock mit eifrigen Bläsersätzen, bei denen es sich dem Vernehmen nach aber nicht um Alphörner handelt. Dazu ein Sänger, der klingt, als würden Klaus Lage und Stoppok unter Alkoholeinfluß über Fußball disputieren. Gerne würde er etwas zu sagen haben, doch ist seine Verzweiflung über Freundschaften, das System und die Welt an sich incl. Gott so derart schonmal dagewesen, daß wir hier nun abschalten wollen.

Benjamin v. Stuckrad-Barre

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