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Der Big–Benn–Blues

■ Ein hochkarätiges Symposium im Literaturhaus über Dichter Benn

Er hatte den Blues. Die Erde ist wüst und leer und nur der Geist der Kunst schwebt über den Wassern. Gottfried Benns Leiden an einer entspiritualisierten Welt war ausgiebig und ließ ihn zum „Hirnhund“ verkümmern, der allabendlich, nach seiner Tätigkeit als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, in Atlas-Pose rückte und seinen Praxis-Schreibtisch zum Schlachtfeld mal schwerblütiger, mal genialer expressionistischer Endzeit-Kreuzzüge machte. Ein gottverlassener Mann mit von väterlicher Seite eingefleischter Gottesfurcht und einer Lebenslosung, die einen auf den ersten Blick schaudern läßt: „Fanatismus bis zur Transzendenz“. Benn, der sich nicht schämte, Menschen, nach einer strengen wie schmalen Typologie, in „Mönche“ und „Verbrecher“ zu gruppieren, erlaubte sich selbst eine schillerndere Existenz als janusköpfiger Dichter, der sich mit politischer Blindheit alle Weltlichkeit von der Pelle hielt und zum donnerwolkigen Evangelisten seiner selbstgebastelten Kunst-Religion avancierte. Sein poetisch artikuliertes Bewußtsein behauptete notorisch die Kunst als „eine Wahrheit, die es noch nicht gibt“ und den Künstler als den einzig Befähigten, „der mit den Dingen noch fertig werden kann“. Eine Botschaft, die mit gehämmerten Thesen durch sein Werk zieht.

Probleme bereitet den Exegeten die Schaffensphase ab 1933, scheint Benn doch zunächst den Nationalsozialismus mit einer kathartischen Vision zu verwechseln. In Briefen sabbelte er schon mal was vom nordischen Menschen, und Deutschland war vom Weimarer Kaffeekränzchen in seiner Achtung zum Gesamtkunstwerk aufgestiegen. Als der emigrierte Klaus Mann den Entgleisenden besorgt um eine Stellungnahme bat, keifte Benn zurück: „Wie stellen Sie sich denn vor, daß die Geschichte sich bewegt? Meinen Sie, in französischen Badeorten sei sie besonders tätig?“

Seinen Rang als einer der größten deutschen Dichter des 20. Jahrhundert, spricht ihm heute kaum ein Germanist mehr ab. Über Benns ideologische Position wird weiter gestritten, über seine „absolute Prosa“ und seinen aus der Erblehre Johannsens entlehnten Begriff des „Phänotypen“ weiter gegrübelt. So auch heute in einem Symposium, „Gottfried Benn. Thesen zur absoluten Prosa und seine Deutung des ,Phänotyps dieser Stunde'“, das vier Hamburger Ärzte in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Hamburg veranstalten. Die Referentenliste ist hochkarätig und reicht von Hanns Zischler über Peter Rühmkorf bis Klaus Theweleit.

Birgit Glombitza heute, Literaturhaus, Schwanenwik 38, ab 17 Uhr

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