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Press-SchlagVom Fritzle fürs Fritzle

■ Bleierne Lethargie rund um den VfB

Nirgends sonst im weiten Land der Bundesliga fällt der Jubel so hochlagig aus wie bei den Heimspielen des VfB Stuttgart. Wo andernorts die Kulisse dunkel dröhnt, die Rufe bassig und rauh tönen, dominieren den großen Chor im Neckarstadion tausendfach hell klingende Stimmen. Im Land der Schwaben lieben die Kinder ihren VfB und kommen zuhauf. Da die lieben Kleinen aber entgegen mehrfach geäußerter anderer Vermutung („Kinder an die Macht“) ziemlich dumm sind, lassen sie sich zuvor von ihren Vätern Fahnen kaufen, auf die „Fritzle, der VfB- Alligator“ gedruckt ist, das wohl unglaublichste Maskottchen des deutschen Fußballs – Uerdingens Grotifant eingeschlossen. Achtung: „Fritzle“ gibt es zur Zeit in der „limitierten Nikolaus-Edition“!

Andererseits ist es aber ganz prima, daß die Blagen mit ihren „Fritzle“-Fähnchen wedeln und ihren zarten Stimmchen alles abverlangen. Angesichts der bleiernen Lethargie ihrer ausgewachsenen Landsleute würden die durchaus bewunderungswürdigen Leistungen des VfB Stuttgart ansonsten wahrscheinlich gänzlich unbejubelt bleiben.

So war es unüberhörbar dem Einsatz der Stuttgarter Stadionspatzen zu danken, daß in der zweiten Halbzeit der Partie gegen den VfL Bochum wenigstens die „Welle“ durch die Arena lief. Ansonsten wähnte sich der die regionalen Gepflogenheiten ungewohnte Beobachter beim schönen, wenngleich nicht triumphalen Sieg gegen den VfL, wie auf einem Leichtathletiksportfest. Man jubelt nur, wenn es auf die Zielgerade geht. War's allerdings kein Weltrekord, gibt's Pfiffe.

Um die allgemeine Ödnis auf den Rängen nicht zu auffällig werden zu lassen, bemühen sich die Verantwortlichen, jenseits des Spielgeschehens eine möglichst dichtmaschige Unterhaltungshängematte zu schaffen. Auf der VfB-Showbühne dürfen vor dem Anpfiff bemerkenswert schlechte Bands auftreten. Die am Samstag hieß „Faith Healer“ und wurde in einer einzigartigen Energieleistung des Publikums sogar ausgepfiffen. In der Pause gibt's laut dröhnendes Werbefernsehen und unverständliche Wettbewerbe mit Zuschauerbeteiligung.

Der Abpfiff ist noch nicht verhallt, dann hat man schon die Stadion-PA bis zum Anschlag hochgefahren – und Status Quo rockt. Gut zu wissen, daß es einen Ort gibt, wo dieser geriatrische Fall populärer Musik noch gepflegt wird. Vor dem Nachhauseweg gilt ein letzter Blick der Stadionleinwand und der Wiederholung der Treffer, dann stapft der Einheimische hinweg.

Nur die Kinder wollen keine Ruhe geben. Überall stehen sie und lärmen gleich los, wenn sie eines ihrer Idole erspähen. Es darf gehofft werden für Stuttgart, und „Fritzle, der VfB-Alligator“ ist irgendwann auch vergessen. Christoph Biermann

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