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■ SchlaglochDie mißbrauchte Universität Von Christiane Grefe

„Es ist der Renner unter jungen Leuten, über die Rente zu diskutieren.“ Kerstin Griese, Jungsozialistin, in der „Süddeutschen Zeitung“

Letzten Samstag hatten wir Jubiläum. Nur eines kleines; irgendwem war aufgefallen, daß wir vor genau 20 Jahren gemeinsam unser Studium angefangen hatten. War ein netter Abend, ganz ohne „Mein Gott, jetzt sind wir auch schon halbtot“-Geschunkel oder „Was hab' ich mit denen überhaupt noch zu tun“-Langeweile. Vom Studium allerdings blieben vor allem Bilder in Grautönen: Vorlesungen im Stehen, weil der Hörsaal zu voll war; Bibliotheken mit endlosen Wartezeiten; unnahbare Professoren ohne einen Hauch pädagogischen Eros; praktisch diskussionsfreie Seminare. Mit Ausnahmen natürlich – an dieser Stelle mein Dank an die Herren Raeithel, Keil, Opitz sowie Frau Blaes. Aber unseren Magister erwarben wir doch eher in den Nebenfächern „Schnellpauken fürs Kurzzeitgedächtnis“ und „Durchlavieren“.

Im Ansatz war also schon damals sichtbar, was seit ein paar Wochen wieder in Medien-„Specials“ und auf Podien beklagt wird, rituell und marktgängig zu Semesterbeginn: die Verschlampung und damit Zerstörung der – Errungenschaft! – Massenuniversität. Doch bei der Klage bleibt es auch schon, seit 20 Jahren, obwohl sich die Lage lange absehbar zugespitzt hat. Gut, ein paar Studienreförmchen gab es, aber die hatten, so auch der Oldenburger Unipräsident Michael Daxner, „mit einer planvollen Verbesserung des Studiums sowenig zu tun wie Leber und Käse mit dem bayerischen Leberkäs“: Hochschulen reformunfähig, Staat politikunfähig, Gesellschaft desinteressiert, weil leider ziemlich wissenschafts- und sehr intellektuellenfeindlich.

Neu entdeckt haben, vor allem konservative, Politiker die Unis erst wieder als Kostenfaktor und Standorthindernis. Vorkommen des „Rohstoffes Geist“ werden vermißt, trotz, nein, wegen der hohen Studentenzahlen und Deutschlands Hintertreffen als global player auf das Fehlen der entsprechenden Elite zurückgeführt. Man könnte diese Schuldzuweisung auch als Versuch deuten, das kurzsichtige Mißmanagement in den Unternehmen und den Tiefschlag der Forschungs- und Bildungspolitiker allein den Hochschulen in die Schuhe zu schieben. Jetzt jedenfalls sollen die Unis windschnittig auf Welt(markt)niveau zugeschnitten werden. Klingt gut – auch wenn dabei über Inhalte, außer Schlagworten wie „Gentechnologie“ oder „Produktentwicklung“, kaum einer redet. Doch es droht der Anfang vom Ende der Universität, wenn sie reduziert wird auf das, was der Wirtschaft nützt. Das Recht auf Bildung darf man nicht einfach verkaufen unter dem Label „Am Bedarf vorbei“.

So wird beispielsweise behauptet, immer weniger Abiturienten seien überhaupt studientauglich. Doch als Konsequenz bieten die Bildungspolitiker nicht etwa ein neues System des Studienübergangs an, sondern Auslese. Hier versucht man's mal mit einem Einführungs-Hunderter Studiengebühren, dort mit Aufnahmeprüfungen. Lauter unkoordinierte Reformversatzstücke, denen aber eines gemein ist: der unterschwellige Versuch, verbesserte Studienbedingungen für die „Elite“ durch den möglichst frühen Ausschluß von möglichst vielen „schwächeren“ Studenten zu finanzieren. Daß die dann zukünftig bei schlechteren Hochschulen landen oder gleich gar nicht mehr studieren und den Ausbildungsdruck nach unten weitergeben, dorthin, wo ohnehin immer mehr Perspektivlosigkeit herrscht – das spricht kaum jemand aus. Enger soll's werden. Ausgerechnet an der Schwelle zur Wissens-Informationsgesellschaft.

Begründet wird das alles immer wieder mit dem Verweis auf das tatsächlich kaum vergleichbare amerikanische Ausbildungssystem in einer Verklärung, die wir Ex- Kommunikationswissenschaftler „selektive Wahrnehmung“ nennen würden: Da werden die – in der Tat paradiesischen – Arbeitsbedingungen an einzelnen, irrsinnig teuren Privatuniversitäten einfach verallgemeinert und dabei unterschlagen, daß Hunderte anderer, auch staatlicher Unis miserabel ausgestattet sind; daß in den USA also trotz vielfältiger Stipendiensysteme nach wie vor die soziale Herkunft darüber entscheidet, wer Zugang zu welcher Hochschule, ja, überhaupt zu einer Ausbildung hat. Ein explosives demokratisches Defizit – wohl sogar eine von vielen Ursachen für 51 Prozent Nichtwähler.

Statt also die Studenten nur noch als „Berg“, „Überhang“, „Last“ zu behandeln und in Rententräume hineinzufrustrieren, sollten wir lieber die Diskussion über eine umfassende, dringend fällige Reform der Massenuni eröffnen. Eine dringende Aufgabe für die – Hallo? Wo seid ihr? – Opposition. Wie kann man die Hochschulen als öffentliches Gut vor einem ökonomischen Zugriff verteidigen, der sich am Ende auch Psychologie und Kultur unter den Nagel reißt und sogenannte „Orchideenfächer“ ganz erstickt?

Wie einen Staat weiter in die Pflicht nehmen, dessen Bildungsausgaben, also Zukunftsinvestitionen, im Industrieländer-Vergleich eben keineswegs vorn liegen, sondern hintan, laut einer OECD-Studie an vorletzter, der 17. Stelle? Welche zusätzlichen Finanzierungsmöglichkeiten – Stiftungen, transparente Drittmittel – können effizientere Univerwaltungen mit eigenen Haushalten erschließen? Wie können sie ihre verkrusteten Gremien nach außen für Kultur, Wirtschaft und Politik, also in die Gesellschaft hinein öffnen? Wer zwingt endlich die Professoren aus ihrer Beamtenmentalität und belohnt nicht nur einträgliche Forschungsprofilierung, sondern auch ihre Neugier und die Qualität ihrer Lehre? Wie kann man zweckfreies Nachdenken über eine Gesellschaft fördern, die mit immer weniger Arbeit auskommen muß? Denn brauchen wir in einer Zeit des beschleunigten Wandels, des schnell überholten Wissens tatsächlich einzig mehr Spezialisten, oder ist auch bei uns – so wie übrigens in den USA – die Wiederentdeckung von Humboldt fällig? Sind Bildung als Selbstwert und Querschaltungen zwischen den Disziplinen moderner, am Ende nützlicher sogar für die Unternehmen? Das meint nicht nur der Soziologe Ulrich Beck: „Die berufliche Zukunft gehört den Spezialisten für den Zusammenhang.“

Auch diese Erkenntnis ist gar nicht so neu, haben wir letzten Samstag gemerkt. Denn im Gedächtnis haften bis heute bei allen die gleichen, viel zu seltenen interdisziplinären Seminare: eines über einen geplanten Rangierbahnhof, bei dem wir Politologen uns mit Betriebswirten und Technikern zusammenraufen mußten. Eines über die Solarenergie, physikalische und ökonomische Aspekte inklusive.

Übrigens haben sie uns, obwohl wir neben der Uni sogar noch das Privileg einer praktischen Journalistenausbildung genossen, damals auch schon in düsteren Farben gewarnt. Der Arbeitsmarkt in den Medien sehe wirklich mies aus, mindestens unberechenbar seien die Zukunftschancen... Das war vier Jahre vor dem Privatfunk-Urknall, und aus allen ist was geworden. So viel zum Thema akademische Bedarfsplanung.

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