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Mörder müssen morden

■ Technisch brillant die Seele aus dem Leib getanzt - und trotzdem über das Ziel hinausgeschossen: Birgit Scherzers Saarbrücker Ensemble gastiert mit dem Tanzdrama "Franz Woyzeck" an der Komischen Oper

Bläser!, Geigen!, schneller, schriller: Sex!! Bei Heiner Grenzlands Musik für „Franz Woyzeck“ hört man die Schicksalsmächte rumoren, wenn Woyzeck und Marie im Prolog an den Stäben eines Gitterbettes rütteln. Ein Gefängnis, die Welt. Zwei Puppen gleich sind sie in einen tiefen Schacht gestürzt, um sich auf dem Bett wiederzufinden: „Das Trauma“, so heißt das erste Bild, verheißt nichts Gutes.

Woyzeck, ein armer Mörder. In der Choreographie von Birgit Scherzer, die für diese Auftragsarbeit als Gast an die Komische Oper zurückkehrte, bleibt Woyzeck ein Getriebener, besessen von seinem Messerchen. Fans von „Hier spricht Edgar Wallace“ haben sicher ihre helle Freude an diesem stieren Blick in die Ferne, wenn ihn das Morden überkommt; denn pantomimisch mogelt sich Scherzer, die doch auf Naturalismus verzichten will, über das Problem hinweg, ihren Woyzeck plausibel zu gestalten.

Sein Tanz läßt ihn nicht plastisch werden, diesen Woyzeck, der wie von einer Sprungfeder getrieben wirbelt, zusammenklappt und aufspringt, wenn ihn die Soldaten mobben und der Arzt dressiert. Ein Hofnarr und ein Pulcinell mögen so durch die Welt zappeln und gegen die Etikette randalieren; zu dem Soldaten Woyzeck paßt diese spaßmacherische Lebendigkeit nicht.

Georg Büchner, Mediziner und Autor, sah den Füsilier von der Wissenschaft mißbraucht, abgefüllt mit Erbsen, pissen verboten. Das körperliche Unbehagen läßt den Menschen kaum denken, reduziert ihn auf Instinkte, an deren Beschränktheit er leidet. Was für ein Stoff in Zeiten, da der Mensch sich zunehmend als Produkt chemischer Manipulationen sieht und nicht mehr weiß, welche seiner Gefühle von falscher Ernährung stammen.

Aber in Scherzers Interpretation wird daraus ein theatralisches Handlungsballett. Nicht aus einer heutigen körperlichen Erfahrung sind die Bewegungen entwickelt, sondern aus einer klassischen Tradition, mäßig expressiv überarbeitet. Die inhaltliche Neubestimmung dieses Vokabulars gelingt der Chefchoreographin des Saarländischen Staatstheaters Saarbrücken, anders als in ihrer bisherigen Arbeit, diesmal nicht. Von der Absurdität der Figuren ist nicht viel geblieben. Der Hauptmann (Pietro Ferlito), der in Büchners Dramenfragment gegen Langeweile kämpft und die Zeit verhackstückt, wird zu einem Melancholiker, umweht von verdrängter Männerfreundschaft. Der Arzt (Uwe Küßner) im langen Nosferatu-Mantel aus weißem Plastik gestattet sich ein paar groteske Hüpfer auf der Stelle. Das Narrenkind (Mario Nötzel), eine sehr symbolische Figur, darf sich als einziges die Abweichung vom gestreckten Fuß leisten und auf den Außenkanten laufen: Damit ist es dann aber auch schon als ein der Welt Verlorener gezeichnet.

So bleibt am Ende nur die Bewunderung für die technische Leistung der Tänzer, die sich wieder mal die Seele aus dem Leib tanzen wollten – und mit dieser Sehnsucht am Ziel vorbeischossen. Katrin Bettina Müller

Weitere Aufführungen am 22. und 29. 11.

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