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Der Held rettet die Welt nicht

Panorama einer zwiespältigen Republik: Birk Meinhardts „Boxen in Deutschland“ ist der erste intellektuelle Widerstand gegen den Quotenkönig Henry Maske  ■ Von Bertram Job

Mehr als drei Jahre nach Henry Maskes Titeleroberung im Halbschwergewicht – und kurz vor seinem Abtritt als Aktiver – hat sich der intellektuelle Widerstand gegen den von Fernsehanstalten ausgerufenen „Boxboom“ nun bibliophil massiert. Dabei wird nur Außenstehende überraschen, daß es mit dem SZ-Redakteur Birk Meinhardt ausgerechnet ein notorischer Wegbegleiter Maskes ist, der nach einem halben Dutzend eilig zusammengeschlurter Pseudobiographien den ersten Rundumschlag gegen das Quotengeschäft um die Sportikone führt.

In „Boxen in Deutschland“ zeichnet Meinhardt (37) kenntnisreich und emotionsarm die unwahrscheinlich späte Karriere einer Sportart nach, die nach ihrer Verbannung aus dem gesellschaftlichen Konsens durch den sogenannten „Gentleman“ Anfang der Neunziger plötzlich wiederauferstand. Um zu ermitteln, wie das geschehen konnte, surft der Autor in zwölf Kapiteln gleich Runden wechselweise zwischen den dreißiger und den neunziger Jahren hin und her. Das Spektakel der Preisboxer, so das sozio-historische Substrat, habe besonders in Phasen zunehmend aggressiv ausgetragener Sozialkonflikte und einer parallel etablierten Dekadenz deutsche Zuschauermassen mobilisiert.

Der Unterschied ist demnach nur, daß die Angst- und Sensationslust in der postmodernen Konsumgesellschaft eines immerwährenden langen Donnerstags durch das Fernsehen heute viel subtiler, dafür aber um so flächendeckender organisiert werden kann. Doch erst mit dem eloquenten Defensivkünstler Maske sei dem Privatsender RTL der familiengerechte Protagonist zugelaufen, den er zur Präsentation des brutalen Sports als einer Art „Boxen light“ benötigte. Das wäre so weit gescheit genug, um daraus einen gefälligen, längeren Essay entstehen zu lassen. Weil es aber ein Buch werden muß, macht Autor Meinhardt dann noch ein paar Kämpfe zuviel.

Weitschweifig und holzschnittartig malt der begnadete Journalist aus Ost-Berlin das Panorama einer zwiespältigen Republik, in der die im Westen alle satt und blöd seelenlosem Wohlstand frönen, während die im Osten durch die Bank Frust schieben und irgendwie verraten sind. Dumm gelaufen, wie?

Es kommt noch schlimmer: Ausgerechnet der ehemalige NVA-Oberleutnant Maske, einst Olympiasieger für die DDR, verweigert nun die Annahme der ihm von Meinhardt zugedachten Rolle, kraft seiner Popularität zum Klassensprecher des Ostens zu avancieren. Statt dessen wird jener gesamtdeutsche „Medienfigur“, ja, „Kunstprodukt“, das für Mundwasser wirbt und mit seinem Antlitz Bettwäsche verkauft. Darüber wird er zum Mittäter an den „Inszenierungen“ des Haussenders, dessen Kapitalverbrechen in den Werbespots zwischen den Runden liegen sowie den „Mitteln“, mit denen man die Sportveranstaltungen zu „Events“ umbaut – den Gesangseinlagen von Opern- und Musicalstars, den Lasershows und sonstigen Zündeleien aus dem Areal einer trivialen Ergriffenheitskultur.

„Wenn er in die Kamera lächelt“, schließt Meinhardt über Maske, „hat er also nicht nur seine Ruhe. Er hat auch sein Auskommen.“ Sollte er, etwa aus Solidarität mit dem Osten, vielleicht nicht? Es sind die pauschal geführten Klagen, die täuschende „Oberfläche“ der Dinge (ja was denn sonst?), die ungebremsten Moralinstöße gegen das in Deutschland immer so platt als (Be-)Trug gegeißelte „Showgeschäft“, die einem die Lektüre zunehmend verleiden. Es schleicht sich zu oft ein aus Gerichtssälen bekannter Ton ein, wenn Meinhardt – aus Böswilligkeit oder Naivität oder einer kruden Mischung aus beidem – dem gewiß nicht unschuldigen Sportler die unterlassene Hilfeleistung bei der Rettung der Welt vorwirft.

Hätte der Quotenkönig die Macht, den Willen vorausgesetzt, die populistischen Manöver seines mittelbaren Arbeitgebers RTL zu unterbinden? Tatsache ist, daß morgen abend in München vor dem Kampf gegen den WBA- Weltmeister Virgil Hill der von Maske nicht eben bewunderte Heino die teutsche Hymne schmettern wird – entgegen dessen Wunsch. Tatsache ist, daß bisher fast keines der oft dümmlichen Mottos zu Maskes Auftritten (etwa „Die Pflicht des Gentleman“) mit dem Hauptdarsteller (oder auch nur der RTL-Sportredaktion) abgesprochen wurde. Die wirkliche Macht liegt nicht beim IBF-Weltmeister, sondern in der Führungsetage des Privatsenders. Und das wahre Verbrechen gegen die Menschheit beginnt in Köln nicht bei den abendlichen Übertragungen der Boxkämpfe, die immer noch als Highlights im Programm gelten müssen, sondern am Nachmittag – bei den furchtbaren Meisers und Schäfers dieser Welt.

Eines hat der SZ-Journalist mit dem Privatsender sogar gemeinsam – beiden geht es bei aller unterschiedlich motivierten Fixierung auf die Hauptfigur Henry Maske nur am Rande um den Sport. Der taucht im Buch einzig als leidlich geregelte Prügelei zweier Mittelloser auf, die sonst keinen Broterwerb kennen, und bezieht vornehmlich durch seine Todesnähe die zum Geldeintreib erforderliche Attraktion. Kein Tunney, kein Leonard und auch kein Muhammad Ali, mithin keine zweite Traditionslinie stört diese eindimensionale Vorstellung vom Boxen – nur Maske, der Augenwischer.

Schämt sich ein Zivilmensch da etwa für das Interesse, das er als Journalist ausleben durfte? Es ist immer das gleiche mit den Sportschreibern in diesem Land: Die affirmativ sind, kleben unkritisch an den Helden; die kritisch sind, wollen sich keine Affirmation leisten. Und an der Schnittstelle zwischen beidem liegt – Brachland.

Birk Meinhardt: „Boxen in Deutschland“. Rotbuch Verlag, Hamburg 1996, 172 S., 18,90 DM

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