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89 Mädchen versetzen Indien in Aufruhr

Heute wird in Bangalore die Miss World gekürt, unter massivem Polizeischutz. Gegen das Spektakel ziehen Feministinnen, Hindus und Muslime, Rechte und Linke vereint zu Felde  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

Das südindische Bangalore gleicht in diesen Tagen einer Stadt im Belagerungszustand. 12.500 Polizisten sind im Sondereinsatz, um 89 junge Mädchen zu beschützen. Heute wird eine von ihnen in einem Kricketstadion für ein Jahr zur schönsten Miss der Welt erkoren. Dieses je nach Geschmack belanglose, ärgerliche oder lustige Ereignis hat die Gemüter in Indien in eine derartige Aufregung versetzt, daß die Regierung sogar Armee und paramilitärische Einheiten aufbieten wollte. Ein Gericht in Bangalore verbot dies, verdonnerte aber die Organisatoren zur Bezahlung der Überstunden und neuer Uniformen für die Polizisten.

Nicht weniger als 54 Organisationen haben dem Miss-World- Wettkampf den Kampf angesagt, und die Drohungen reichen von Hexenexorzismus bis zur Selbstverbrennung. Selbst die Geschäftswelt protestiert, weil die Stadtverwaltung für das kurze Gastspiel mehr Geld ausgibt, als sie während Jahren für den Straßenunterhalt oder die Stromversorgung aufgewendet hat. „Bangalore feiert Miss World“, lautet eines ihrer Banner, „and misses the world“ – „verpaßt die Welt“.

Eine Frauenorganisation hat ihre Ankündigung, siebzehn Tage vor dem 23. November jeden Tag ein Mitglied in Flammen aufgehen zu lassen, inzwischen auf ein Massen-Autodafé am heutigen Samstag geändert. Eine Organisation unter dem Namen Indian Tigers verkündet in Flugblättern Bombenanschläge und übernimmt die Verantwortung für die Verwüstung von Geschäften des Hauptsponsors Godrej. Weibliche Mitglieder der maoistischen Gruppierung People's War Group aus einem Nachbarstaat haben sich in die Stadt eingeschlichen. Ein Professor Nanjundaswami, der sich auf die Beschädigung von ausländischen Geschäftslokalen (Kentucky Fried Chicken, Cargill, Coca-Cola) spezialisiert, plant Massendemonstrationen.

Die 89 jungen Frauen, obwohl nur auf züchtige Posen und leere Floskeln getrimmt, „I love Mother Teresa“, haben etwas fertiggebracht, woran wohlmeinende Politiker schier verzweifeln. Sie haben die Gegensätze zwischen Muslimen und Hindus, zwischen der Linken und der Rechten, zwischen patriarchalischen Konservativen und Frauenrechtlerinnen überbrückt. Muslimische Frauen protestieren gegen die Zurschaustellung des weiblichen Körpers, die Hindu-Aktivisten argwöhnen einen Verrat am indischen Frauenideal, die Feministinnen wettern gegen die Behandlung der Frau als Ware, die Linke sieht einen weiteren Schritt im Ausverkauf Indiens an internationale Konzerne. Alle sind sich einig, daß die Kür eine tiefe Gefahr für die indische Kultur darstellt. Die Befürworter sind mit ihren Appellen bisher abgeprallt. Sie können noch so lange darauf hinweisen, daß die Fresken von Ajanta, aus denen sie den schönen Kopf einer Apsara-Elfe als Logo der Veranstaltung ausgewählt haben, auch vollbusige Göttinnen in verführerischen Posen zeigen – und dies in buddhistischen Höhlenklöstern. Das Argument, daß der Hinduismus ein natürliches Verhältnis zum Körper und zur Sexualität predigt, verfängt ebensowenig wie die Tatsache, daß eine indische „Miss Universe“ und „Miss World“ 1994 und 1995 die Schlagzeilen beherrschten und im Triumphzug durch die Hauptstadt Delhi getragen wurden. Auch viele Frauen sind verärgert über die Publizität, welche die Miss-Wahl durch die Proteste erhalten hat. Die Filmschauspielerin Shabana Azmi verweist auf die Erniedrigungen, die Frauen in Indien täglich erdulden müssen – von Vergewaltigung bis zum „Sati“, der Selbstopferung der Witwe auf dem Scheiterhaufen des verstorbenen Ehemanns. Ein Gericht in Rajasthan hatte im Oktober 38 Personen freigesprochen, die angeklagt waren, 1987 die 18jährige Roop Kanwar zum „Sati“ gezwungen zu haben. „Wo waren all die Protestierenden“, fragt Azmi, „die jetzt lautstark für das Ideal der indischen Weiblichkeit eintreten?“

Längst hat das Fernsehen eine Welt von begehrenswerten Gütern und westlichen Verhaltensnormen in die indischen Wohnzimmer geschwemmt, die die traditionellen Wertemuster in Frage stellen. Die Folge ist Angst und Aggression, und sie zeigt sich nicht nur bei der Miss-World-Wahl, sondern ebenso religiöser Verhärtung. Eine Zeichnung des bekanntesten indischen Kunstmalers, M. F. Hussain, aus dem Jahr 1977 diente dazu, um eine Kampagne gegen Intellektuelle, Künstler und Nichthindus zu lancieren. Der Muslim Hussain, dessen Werk eine zeitgenössische Reinterpretation indischer Mythen ist, hatte es gewagt, die Göttin Saraswati nackt zu zeichnen. Der Maler wurde in Bombay unter Anklage gestellt, in Ahmedabad verwüsteten Vandalen ein Hussain-Museum, und Politiker forderten die Ausbürgerung des 80jährigen. „Hussain als Preisrichter in Bangalore – das gäbe einen Volksaufstand“, witzelte ein Zeitungsglosse, doch niemand lachte dabei.

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