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Kleines Damenzimmer schließt

■ Der Boudoir-Club in Mitte macht dicht. Betreiberinnen kreierten eine einzigartige Mischung aus Barbetrieb, Partyleben und Bühnenkunst. Legendäres Himmelbett wird versteigert

Ein bißchen wehmütig blickt die Veranstalterin Iris Schmied zurück. „Die Zeiten haben sich einfach geändert, in der Szene läuft doch alles nur auf Kommerz hinaus!“ Zum Jahreswechsel werden Iris Schmied und ihre Partnerin Suse Eichinger einen Schlußstrich ziehen und ihren Szene- und Künstlertreff „Boudoir“ schließen.

Kultur wollten sie machen, als Eichinger und Schmied mit der befreundeten Galeristin Lena Braun vor über vier Jahren die Loftetage einer ehemaligen Seifenfabrik an der Brunnenstraße in Mitte bezogen. „Zuvor hatten wir über ein Jahr renoviert“, erinnert sich die 34jährige Suse Eichinger, „doch wir planten schließlich etwas Besonderes.“ Sie dachten sich das ursprünglich in Anlehnung an die Salonkultur des 18. und 19. Jahrhunderts: „Kleines Damenzimmer“ – Boudoir – nannten sie das Projekt. In diesem Vorzimmer zum Schlafzimmer empfing man die Gäste, plauschte mit ihnen in vertraulicher Atmosphäre, bevor man sich eine Tür weiter begab. Der Raum in der Fabriketage brauchte natürlich noch ein ganz spezielles Möbel: Ein riesiges plüschiges Himmelbett zierte seine Mitte. Über zwei Jahre lang sollte es das Markenzeichen des Boudoirs bleiben. Hier konnten die Gäste nach Herzenslust herumlümmeln, was sich „ausgezeichnet auf die Stimmung auswirkte“, beteuern die beiden Salondamen heute noch. Denn in den Federn geschah etwas, was in der Clubszene eigentlich unüblich ist: „Wildfremde Leute redeten miteinander und lernten sich tatsächlich kennen!“

Das Boudoir präsentierte daraufhin einen Barbetrieb mit regem Partyleben. Es war Galerie und Veranstaltungsort zugleich. Ganz nebenbei entpuppte sich der kleine Club, in dem sich getrost auch Menschen amüsieren können, die bereits die 30 überschritten haben, als Soundschmiede für Easy-Listening- und House-DJs.

Ob etablierte oder noch ganz frische Künstler, die die Boudoirbühne als Sprungbrett nutzten; ob bildende, populäre oder auch Klein- und Bühnenkünstler: sie alle fühlten sich in der flauschigen Atmosphäre des Himmelbettes wie zu Hause. Was zur Folge hatte, daß die meisten immer wieder kamen. Der Pop-Maler Jim Avignon, der das Boudoir schon einige Male als Austragungsort für seine Radiobar auswählte, gehört schon genauso zum Inventar wie das produktive Pärchen Ele König und Peter Maibach. Sie arbeiten gemeinsam unter dem Namen König Maibach. Mindestens zweimal jährlich präsentieren sie hier ihre neuesten Mode- und Kunstwerke.

„Bislang ist hier jeder Off- Künstler vertreten gewesen, den die Stadt zu bieten hat“, sagt Eichinger. Die Liste reicht von Lothar Lambert bis Betty Stürmer, Desirée Nick, Inga Humpe, Cora Frost und Thierry Noir.

Bühne für Off-Künstler mit Rang und Namen

Im Frühjahr 1994 hatte sich das Boudoir-Projekt bis in Senatskreise etabliert, so daß die Damen Braun, Schmied und Eichinger samt Stammkünstlerschaft und Himmelbett subventionierterweise nach New York verschickt wurden. Mit aufwendig gearbeiteten Kostümen, verschiedenen Konzert- und Kunstaktionen aus dem Berliner und New Yorker Dunstkreis lockten sie dort innerhalb von nur neun Tagen über 6.000 Zuschauer in ihr „Boudoir in Exile“.

Nach der Rückkehr nach Berlin sollte sich einiges ändern. Die Partnerin Lena Braun verschwand von der Bildfläche, ebenso wie das Himmelbett. Das Boudoir erhielt verstärkten Clubcharakter, Dekor, Mobiliar und Musikprogramm wurden ziemlich stilecht den glitternden Seventies nachempfunden. Iris Schmied: „Unsere Arbeit in New York war an Umfang kaum mehr zu überbieten. Da konnten wir hier nicht einfach so weitermachen!“

Die Mädels vom Boudoir sind Pionierinnen in der Clubszene Mitte. „Abgesehen vom ,Eimer‘ und dem ,Tabu‘ gab es hier früher im ganzen Umkreis nichts, wofür es sich gelohnt hätte zu kommen.“ Heute beherbergt das Haus, das übrigens mittlerweile unter Denkmalschutz steht, noch weitere Akteure aus dem subkulturellen Kreativ-Umfeld. Neben dem Boudoir haben hier ein Möbeldesigner und zwei Modemacherinnen ihre Ateliers. Auch Schmied und Eichinger wollen zunächst noch ihre Räume behalten und diese privat zu Party-Anlässen weitervermieten. „Die meisten unserer Freunde glauben das wahrscheinlich gar nicht, daß wir aufhören werden“, meint Suse Eichinger.

Gibt es Zukunftspläne? „Vielleicht machen wir mal was Etablierteres. Vielleicht gehn wir ans Theater“, spekulieren sie ins Blaue. Doch bevor sie die großen Berliner Bühnen erobern, werden in den Hinterhofräumen der Brunnenstraße 192 noch diverse Feste gefeiert. Auf der großen Abschiedsparty wird man mit einem alten Bekannten rechnen können: Das Himmelbett wird wieder hervorgekramt und soll meistbietend versteigert werden. Kirsten Niemann

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