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„Die Abstimmung war einfach eine Farce“

■ Carlos Sherman, Vizepräsident des Pen-Clubs in Weißrußland, über das Verfassungsreferendum vom vergangenen Sonntag und die Perspektiven der Opposition

taz: Präsident Lukaschenko kann zufrieden sein. 70,5 Prozent der Wahlberechtigten haben seinem Verfassungsentwurf zugestimmt.

Carlos Sherman: Ich weiß nur zu gut, was von diesem Ergebnis zu halten ist. Am Sonntag abend hieß es noch, 57 Prozent der Wahlberechtigten hätten abgestimmt. Gestern morgen waren es plötzlich 90 Prozent. Das ist schon sehr merkwürdig. Es hat genügend Fälle gegeben, daß Leute zur Teilnahme an der Abstimmung gezwungen wurden. Ihnen wurde damit gedroht, daß sie keinen Urlaub oder kein Gehalt bekommen. Außerdem wird schon seit dem 9. November abgestimmt. Dieses Procedere öffnet jeder Manipulation Tür und Tor. Die ganze Abstimmung hatte nichts mit Demokratie zu tun, es war einfach eine Farce.

Wie wird es jetzt weitergehen? Immerhin hat Lukaschenko schon mit der Auflösung von Parlament und Verfassungsgericht gedroht.

Zunächst einmal wird nichts dergleichen passieren. Und das Parlament kann die Rolle eines Katalysators der demokratischen Kräfte spielen. Doch das wird nur die erste Zeit so sein. Natürlich wird Lukaschenko versuchen, den Präsidentenapparat und damit das autoritäre System weiter auszubauen. Auf der Basis des Referendums, das er als bindend erklärt hat, kann er jetzt alles machen. Deshalb ist es durchaus real, daß er die anderen Staatsorgane auflöst. Doch darf man nicht vergessen, daß es Lukaschnko und die Regierung waren, die das Land in den Abgrund geführt und die Wirtschaft ruiniert haben. Deshalb glaube ich, daß der Zusammenbruch der Regierung programmiert ist.

Die Krise in Weißrußland dauert seit Monaten. Trotzdem hat der Westen geschwiegen.

Der Westen hat die Entwicklung in unserem Land hin zu einer Diktatur verschlafen. Das ist so eine Gleichgültigkeit gegenüber Weißrußland. Das Ausland hätte aufmerksam werden müssen, als die ersten Anzeichen der Krise sichtbar wurden. Doch es kamen kaum Reaktionen und wenn, dann ziemlich verspätet, wie von Human Rights Watch oder amnesty international. Jetzt ist es zu spät. Journalisten oder Politiker werden die Entwicklung kaum noch beeinflussen können. Die meisten europäischen Länder haben es erfolgreich geschafft, zu vergessen, was Faschismus ist.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Schriftsteller und die Intelligenz in Weißrußland?

Jetzt wird alles noch schwieriger. Das Verlagswesen ist am Boden. Und die meisten Verlage sind mittlerweile in den Händen solcher Leute, daß man von Kultur in Weißrußland schon nicht mehr sprechen kann. Das sind keine Verleger mehr, sondern Kämpfer an der ideologischen Front, so wie früher. Vor wenigen Tagen wurde die Druckerei der Zeitung Narodnaja Volja geschlossen. Und der Herausgeber der Zeitung Svoboda wurde verhaftet. Die Intelligenz hat vielleicht auch selbst schuld an dieser Situation, weil sie gemeinsam und entschlossen gegen die Entwicklungen in Weißrußland aufgetreten ist. Allerdings haben in unserem Land die Mitglieder des Pen-Clubs und des Helsinki- Kommitees von der ersten Minute an ihre Stimme zur Verteidigung der Demokratie erhoben. Doch diese Stimme hat niemand gehört. Interview: Barbara Oertel

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