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„Die haben wir abgeschossen!“

In Potsdam begann der Prozeß gegen zwei Jugendliche aus dem brandenburgischen Mahlow, die drei Briten mit dem Wagen gejagt hatten. Seitdem sitzt eines der Opfer im Rollstuhl  ■ Aus Potsdam Florian Gless

Sie trafen sich täglich am Bahnhof von Mahlow: Jugendliche zwischen 15 und 25, teilweise Schüler, teilweise arbeitslos, einige auch berufstätig. Sie tranken Alkohol, rauchten Hasch, randalierten manchmal und pöbelten Passanten an. Am liebsten Ausländer. Dann, am 16. Juni, kam dieser Jaguar, aus dem drei Schwarze ausstiegen. Am Ende des Abends lag der Wagen im Straßengraben, waren zwei Insassen leicht verletzt und einer so schwer, daß er heute im Rollstuhl sitzt.

Seit gestern verhandelt die Zweite Jugendkammer des Landgerichts Potsdam wegen eines Anschlags auf drei britische – und schwarze – Bauarbeiter. Die Hauptanklage des spektakulären Falls lautet „gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“ und „schwere Körperverletzung“, Höchststrafe fünf Jahre. Möglicherweise, so der Vorsitzende Richter Claus Przybilla, könne es sogar zu einer Klage wegen versuchten Mordes kommen.

Staatsanwalt Frank Wels und Rechtsanwalt Volker Ratzmann, der Vertreter der Nebenklage, stützen ihre Klage hauptsächlich auf die Aussagen der Opfer. Die sind bis zu einem entscheidenden Punkt unbestritten: Danach fuhren die drei britischen Bauarbeiter Arthur, Noel und Michael am 16. Juni durch das brandenburgische Mahlow. Sie wollten nach Plauen zu ihrem neuen Job. Bei der Telefonzelle am Mahlower Bahnhof, so ihr Bericht, hielten sie – Noel wollte noch seine Frau in Birmingham anrufen. Dort auf dem Vorplatz lungerte wie immer die Clique herum, die, so der Staatsanwalt, jeder im Ort kenne. Mit dabei: Mario P. und Sandro R. Mario P. rief „Nigger!“, Noel telefonierte, und die drei Briten fuhren weiter.

„Klar haben wir uns gefragt, woher die so 'n Auto haben“, sagt Sandro R. Sein Kumpel Mario habe „Nigger!“ gerufen. Ob das ein Schimpfwort sei, will Richter Claus Przybilla wissen. „Nö, nicht unbedingt.“

Kurz nachdem die Briten gegen 9 Uhr abends die Fahrt wieder aufgenommen hatten, bemerkten sie, daß ihnen ein dunkler Golf mit hoher Geschwindigkeit folgte. Der setzte zum Überholen an, fuhr neben ihnen her, bis plötzlich der Beifahrer, Sandro P., das Fenster herunterkurbelte und einen mittelgroßen Feldstein in das linke hintere Seitenfenster des Jaguars schleuderte. „Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?“ fragt der Vorsitzende Richter. „Gar nischt.“

Von diesem Punkt an gehen die Aussagen der Opfer und der Täter auseinander. Denn was folgte, ist Hauptgegenstand der Anklage. Die Briten sagen, durch den Steinwurf habe Noel die Kontrolle über das Auto verloren, der Wagen sei ins Schleudern gekommen und schließlich an einen Baum geprallt.

Arthur und Michael kamen mit leichten Verletzungen davon, Noel wurde bewußtlos und mit gebrochener Halswirbelsäule geborgen. Er ist seitdem querschnittgelähmt.

Die Verteidigung hält sich hingegen an die Aussagen ihrer Mandanten: Sandro R. vermutet, die Briten hätten ihn und Mario P. nach dem Steinwurf verfolgt und seien dabei wohl ins Schleudern gekommen. Ansonsten habe er nichts gesehen und nichts gehört. Zeugen berichten allerdings, Mario P. habe sich anschließend gebrüstet: „Die haben wir abgeschossen!“

Der Fall hatte im Sommer unter anderem für Schlagzeilen gesorgt, weil die Staatsanwaltschaft erst nach fünf Wochen, mehreren taz- Berichten und einer Spiegel-TV- Recherche einen ersten Verdächtigen festnehmen konnte. An vier Verhandlungstagen sollen 16 Zeugen vernommen werden. Das Urteil wird für den 2. Dezember erwartet.

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