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Die CIA, der blamierte Geheimdienst

Schlechte Zeiten für die CIA: Ihre Aufgaben erfüllt sie kaum, aus der Vergangenheit des antikommunistischen Kampfes kommen immer mehr Skandale ans Licht, und ständig werden neue Doppelagenten enttarnt  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Eigentlich verlief alles nach dem Drehbuch des „American Dream“. Karriere machen, mehr Geld verdienen, die Kinder aufs College schicken, noch mehr Geld verdienen. Wie inzwischen allseits bekannt, ist die Verwirklichung dieses Traumes im Amerika des ausgehenden 20. Jahrhunderts mit einem Monatseinkommen oft nicht mehr zu bewerkstelligen. Harold Nicholson muß sich nun vorwerfen lassen, bei der Auswahl seines zweiten Arbeitgebers ein wenig nachlässig gewesen zu sein. Der hochrangige Mitarbeiter der CIA wurde Mitte November unter dem Verdacht der Spionage für den russischen Geheimdienst festgenommen. Laut Anklageschrift hat er der Gegenseite unter anderem die Namen und Biographien von frisch ausgebildeten CIA-Mitarbeitern genannt, die der US-Geheimdienst den Russen demnächst ins Nest setzen wollte. Als leitender Mitarbeiter der CIA-Zentrale für Terrorismusbekämpfung versorgte er die russische Seite zudem mit Informationen über die Rebellen in Tschetschenien – was Moskau am Ende allerdings nicht viel nutzte.

Die Entlarvung von Nicholson ist das neueste Glied einer unendlichen Kette von Pannen, Pleiten und Skandalen, welche die „Central Intelligence Agency“ nicht erst seit Ende des Kalten Krieges erschüttern. Mit ihren rund 20.000 Angestellten und einem Jahresetat von 30 Milliarden Dollar ist sie die größte Behörde im komplizierten Netz der US-Geheimdienste. Doch sowohl im US-Kongreß als auch in der Presse fragt man sich, ob das Wort „Intelligence“ und das jährliche Budget angesichts der eher peinlichen Resultate noch gerechtfertigt sind.

Der Sturz des Schahs im Iran, der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Demokratiebewegung in China, der irakische Einmarsch in Kuwait: all dieser Ereignisse und Eskalationen wurde die CIA erst so recht gewahr, als der Durchschnittsbürger darüber in der Zeitung lesen konnte. Was etwas zu spät ist für eine Behörde, deren Mandat unter anderem darin besteht, den Präsidenten und das Parlament mit detaillierten Informationen über Entwicklungen im Ausland zu versorgen, damit die sich vor deren Zuspitzung ein Bild machen und Entscheidungen treffen können. Unfähigkeit im „Außendienst“ spielt dabei ebenso eine Rolle wie Bürokratisierung im Hauptquartier, wo Tausende von Mitarbeitern Unmengen an Papieren mit „Informationsanalysen“ zu einzelnen Ländern und Regionen ausstoßen, die dann von unzähligen Vorgesetzten abgesegnet werden, bevor sie im Zimmer eines Abgeordneten landen.

Die schlechte PR für die CIA kommt just zu einem Zeitpunkt, wo Sinn und Ziel der Spionage neu debattiert werden. Die CIA sieht sich wachsender Konkurrenz um Ressourcen und Kompetenzen durch andere Behörden ausgesetzt – vor allem durch das FBI. Das „Federal Bureau of Investigation“ hat sich inzwischen nicht nur in Bereichen wie Terrorismusbekämpfung oder organisiertes Verbrechen hervorgetan und sein Netz von Niederlassungen im Ausland vergrößert. Es hat auch neue Aufgaben bei der Spionageabwehr übernommen und war maßgeblich an der Überführung von Nicholson beteiligt.

Dabei sind Fehlschläge nichts Neues für die CIA, erinnert sei nur an das Debakel in der „Schweinebucht“ 1961, als eine von der CIA ausgebildete und organisierte Truppe von Exilkubanern an Kubas Küste landete, um das Regime Fidel Castros zu stürzen.

Früher konnten Fehler der CIA nichts anhaben

Aber selbst ein solches Desaster – aus US-amerikanischer Sicht – rüttelte in der Ära des Kalten Krieges weder an der Position der CIA als wichtiger Säule der „Truman- Doktrin“ zur Eindämmung des Kommunismus und zur Wahrung US-amerikanischer Interessen, noch schmälerte es die Akzeptanz ihrer Strategien: verdeckte politische Aktionen, paramilitärische Einsätze, Initiierung von Militärcoups. Covert operations und beste Kontakte mit rechtsgerichteten (para)militärischen Gruppierungen und Institutionen gehörten zum Grundhandwerk der CIA – vor allem, wenn es galt, kommunistische oder auch nur demokratische „Umtriebe“ im eigenen „Hinterhof“, in Mittel- und Lateinamerika, zu stoppen.

Nach Ende des Kalten Krieges wird der Geheimdienst nun von der Vergangenheit eingeholt. Der „Iran-Contra-Skandal“, bei dem unter anderem der damalige CIA- Chef William Casey mit dem Einverständnis von US-Präsident Ronald Reagan Waffen an den Iran verdealte und mit den Erlösen illegal die Contras in Nicaragua finanzierte, brachte Anfang der 90er Jahre erstmals das Motto des Geheimdienstes in Verruf, wonach der antikommunistische Zweck jedes Mittel heiligt. Mit Antritt der Clinton-Administration setzte zwar keine Reformpolitik ein, aber zumindest ein kleiner Perestroika- Schub. Die CIA sah sich plötzlich vor Kongreßausschüsse zitiert, um ihre Mittel wie auch deren Zweck zu erklären sowie ihre Reinfälle zu rechtfertigen. Für diejenigen, die der CIA ohnehin jede Schandtat zutrauen, kam dabei wenig Überraschendes heraus. Aber andere zeigten sich sehr wohl erstaunt bis empört darüber, daß die CIA Journalisten als Mitarbeiter rekrutiert oder (nicht nur) in Guatemala Kidnapper, Folterer und Mitglieder von Todesschwadronen auf ihrer Gehaltsliste hatte, denen hin und wieder auch ein US-Staatsbürger zum Opfer fiel.

Höhere Wellen in der Öffentlichkeit schlagen hingegen Berichte, daß alte Freunde der CIA nicht nur zur peinlichen PR-Last, sondern zu Feinden geworden sind. Von der CIA ausgebildete „Freiheitskämpfer“ gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan sind inzwischen als „islamische Fundamentalisten“ in Ägypten oder Algerien wiederaufgetaucht, wo sie den Kampf gegen säkulare Regime führen – oder auch in Brooklyn, New York, wo islamische Hardliner-Fraktionen junge Immigranten für „heilige Kriege“ anzuwerben versuchen.

In skandalträchtige Schlagzeilen geriet die Behörde in den letzten Monaten aber auch wegen vermeintlicher oder tatsächlicher Drogengeschäfte. Am 21. November erhob ein Gericht in Miami Anklage gegen den venezolanischen General Ramón Guillén Davila, der 1990 im Rahmen einer CIA-Operation zur Infiltrierung der kolumbianischen Drogenkartelle eine Tonne pures Kokain auf den US-amerikanischen Markt bringen ließ. Guillén leitete von 1987 bis 1991 eine der Anti-Drogen-Einheiten, die in den späten achtziger Jahren von der CIA im Rahmen des „Krieges gegen die Drogen“ in Kooperation mit lateinamerikanischem und karibischem Militär aufgebaut worden sind.

Diese Meldung goß noch einmal Öl in das Feuer einer Debatte, die vor einigen Wochen die kalifornische Zeitung The San José Mercury News gestartet hatte. In einer Artikelserie wurde die CIA beschuldigt, mit Kokainschmugglern kollaboriert und aus deren Erlösen Gelder an die nicaraguanischen Contras weitergeleitet zu haben sowie maßgeblich für die Verbreitung von Crack in den Ghettos von Los Angeles verantwortlich zu sein. Reporter der New York Times, der Los Angeles Times und der Washington Post erklärten die Vorwürfe nach längerer Recherche für nicht stichhaltig genug. In einer Anhörung des Senats erklärten ehemalige Contras letzte Woche, mit Geldern aus Kokainschmuggel nichts zu tun gehabt zu haben – was von aufgebrachten Zuhörern im Saal mit lauten Protesten quittiert wurde. Vermutlich waren es die Sorge um den Ruf und die potentiellen negativen Folgen bei der zukünftigen Geldvergabe durch den Kongreß, was CIA-Chef John Deutch zu einem einmaligen Schritt bewog: Zum erstenmal in der Geschichte des Geheimdienstes stellte sich deren Direktor der Diskussion mit Bürgern.

Der CIA-Chef diskutiert – und keiner glaubt ihm

Genauer gesagt: mit Anwohnern von South Central Los Angeles, die ihrer Wut und Verzweiflung über die vermeintliche Mitverantwortung der CIA an der Crack- Epidemie Luft machen wollten. Die Veranstaltung war streckenweise mehr Tumult als Debatte und änderte zweifellos nichts an der Überzeugung des Publikums, daß die CIA in allen Punkten der Anklage schuldig zu sprechen sei. Deutch hingegen dürfte endgültig klargeworden sein, daß dieser Posten kaum Ruhm und Popularität bringt. In Washington ist es ein offenes Geheimnis, daß der ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister sich große Hoffnungen macht, anstelle von William Perry als Minister ins Pentagon zurückzukehren.

Auf die Suche nach Sinnstiftung für die Behörde wird sich dann ein anderer begeben müssen. Spuren eines Wandels sind bereits zu sehen: Mehr denn je zuvor entwickelt sich die CIA zu einer Behörde für Wirtschaftsdaten und zu einem Zulieferbetrieb für das US-Handelsministerium und US-Firmen. Die meisten dieser Informationen, sagt der ehemalige Verteidigungsminister Harold Brown, „sind öffentlich einsehbar.“ Doch außerhalb der Geheimdienste „gibt es eigentlich keine Regierungsbehörde, die all diese Statistiken und Daten zentral erfaßt.“

Wenn das so bleibt, eröffnen sich für zukünftige Doppelagenten ganz neue Möglichkeiten: die Chance, vermeintliche und tatsächliche Geheimnisse an die Privatwirtschaft zu verkaufen. Allerdings erscheint es geraten, sich schlauer als Harold Nicholson anzustellen. Denn die Bewegung auf den Konten von CIA-Mitarbeitern wird mittlerweile genauso akribisch überprüft wie einst die Bewegung von KGB-Agenten. Das schreckte Harold Nicholson nicht ab, auf Urlaubsreisen im Fernen Osten nach Treffen mit Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes fünfstellige Beträge zu deponieren. Ein Haftbefehl wurde schließlich ausgestellt, als ihn FBI- Agenten mit einer versteckten Kamera bei seiner gewinnbringenden Tätigkeit gefilmt hatten: Der CIA- Agent Nicholson pflegte in seinem CIA-Büro auf allen vieren unter seinen Schreibtisch zu kriechen, um geheime Dokumente für seine russischen Arbeitgeber abzufotografieren. Die Szene allein gäbe genügend Stoff für eine James- Bond-Persiflage. Doch manchmal kommt die Realität eben zu spät für die Satire.

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